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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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einmal auf der Floßlände gesehen zu haben. Die dritte Gestalt war anders. Sie war klein, trug ein rotes Hemd mit weißen Bändern und auf dem Kopf einen dieser schicken Musketierhüte, von denen sich Simon gern selbst einen geleistet hätte.
    Der Mann dort unten war Silvio Contarini.
    Mit übereinandergeschlagenen Beinen nahm der Venezianer auf einem Getreidesack Platz und musterte das zuckende Bündel vor ihm. Magdalena hatte während der ganzen Flußfahrt vergeblich versucht, sich aus den Fesseln zu befreien. Mittlerweile waren ihre Bewegungen müder und müder geworden. Fast mitfühlend schüttelte Silvio den Kopf.
    »Es ist wirklich jammerschade, dass unsere Beziehung eine solche Wendung nehmen musste«, seufzte er. »Aber Gottes Wege sind nun mal unergründlich. Glaubt mir, ich verehreEuch noch immer. Euren Mut, Eure Klugheit, natürlich Eure Schönheit …«
    »Schwindsüchtiger Jahrmarktszwerg!«, zischte Magdalena und versuchte sich aufzurichten, was ihr jedoch misslang. »Dein mickriges Gemächt schneid ich dir ab, wenn du mich noch einmal anlangst!«
    » Scusate , aber ich fürchte, das ist unvermeidlich«, gurrte Silvio. »Schließlich brauch ich Euch noch für unser Experiment. Wenn es Euch jedoch lieber ist, sorge ich dafür, dass nur noch diese reizenden cavalieri  …« Er wies auf die zwei grinsenden Kerle an seiner Seite. »… dass nur noch sie Euch berühren dürfen. Ist Euch das lieber?«
    »Was für ein verdammtes Experiment?«, fragte Magdalena barsch, doch in ihrer Stimme schwang ein Hauch Unsicherheit mit. »Sprich endlich deutsch mit mir.«
    Silvio Contarini ließ sich in die Getreidesäcke fallen wie in eine Chaiselongue. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah sich in der Mühle um, als würde er sie erst jetzt richtig wahrnehmen. Hochzufrieden wandte er sich schließlich Magdalena zu.
    »Was glaubt Ihr, was das hier ist?«
    »Getreide. Mehl. Was sonst?«, blaffte die Henkerstochter.
    Silvio nickte. » Essattamente . Aber aus ganz besonderen Körnern.« Ein Messer blitzte auf, der Venezianer stach in einen der Säcke, auf denen er wie ein König auf seinem Thron Platz genommen hatte. Versonnen ließ er den Roggen durch seine Finger rieseln. Fast die Hälfte der Körner war schwarz-bläulich gefärbt, als hätten sie zu schimmeln begonnen.
    »Frisch geerntet und gedroschen auf von mir gepachteten Feldern rund um Regensburg«, murmelte er. »Es hat uns viel Mühe gekostet, die Körner in dieser Reinheit herzustellen.«Versonnen ließ er den verfärbten Roggen zu Boden rieseln. »Eigentlich ist es nur ein Pilz, der sich in feuchten Sommern zwischen den Körnern festsetzt. Die Bauern fürchten ihn, wobei seine Wirkung eigentlich erstaunlich ist. Fast könnte man sagen, dass die Körner von Gott gesegnet sind. Sie bringen den Menschen das ignis sanctus , das Heilige Feuer.« Unvermittelt blickte er Magdalena an. »Ihr als Hebamme kennt es wohl eher unter dem Namen Antoniusfeuer .«
    »Mein Gott!«, keuchte Magdalena. Ihr Gesicht war schlagartig noch einen Ton weißer geworden. »Das Antoniusfeuer! Dann ist in all diesen Körnern …«
    Silvio nickte. »Mutterkorn. In der Tat. Das Gift Gottes. Es verschafft den Menschen einen Einblick in den Jüngsten Tag. Wer davon isst, erblickt den Himmel, aber auch die Hölle. Es heißt, das Korn sei so alt wie die Menschheit.« Wieder rieselten die Körner durch seine Hand. »Ganze Dörfer haben sich nach seinem Genuss auf die Suche nach Gott begeben. Die Menschen aßen das von Mutterkorn vergiftete Brot und verfielen in Ekstase, sie erkannten die Hexen und Teufel unter ihnen und vernichteten sie. Zuckend und tanzend zogen sie durch die Straßen und priesen den Heiland. Ein reinigendes Gift! Ich glaube mit Stolz behaupten zu können, dass noch nie eine solche riesige Menge Mutterkorn von Menschenhand hergestellt wurde.« Er deutete majestätisch auf die Säcke, die zu riesigen Haufen überall in der Mühle gestapelt waren. Ein verzücktes Lächeln spielte um seine Lippen.
    »Genug für eine ganze Stadt.«
    Von seinem Versteck aus beobachtete Simon, wie der Venezianer aufstand und die Getreidesäcke wie Soldaten abschritt. Das Herz des Medicus raste. Sie hätten es von Anfangan wissen können! Leicht bläuliches, muffig riechendes Pulver im Mehl. Gemahlenes Mutterkorn! Immer wieder kam es durch diesen Pilz, der in Roggen, aber auch anderen Getreidesorten wuchs, zu Massenvergiftungen. Die Menschen aßen das verseuchte Brot und verfielen dem

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