Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Wahnsinn, viele starben. Nur in kleinsten Mengen hatte es heilende Wirkung. Man verwendete es, um Wehen auszulösen oder eine Abtreibung vorzunehmen. Und nun wollte dieser Wahnsinnige offenbar eine ganze Stadt damit vergiften!
Still verfluchte sich Simon dafür, dass er nicht schon viel früher daran gedacht hatte. Erst kurz vor ihrer Abreise nach Regensburg hatte der Bäcker Berchtholdt seiner schwangeren Magd Resl Mutterkorn gegeben. Doch der Medicus hatte das Gift in Schongau nie gesehen, sein Vater musste es heimlich aufbewahrt haben. Simons letzte konkrete Erinnerungen stammten aus seiner Zeit an der Ingolstädter Universität.
Er erinnerte sich wieder an das bebilderte Pflanzenbuch in der Apothekerkammer des Baders. Einige Getreidearten waren markiert gewesen. Der Bader Hofmann musste in seinem geheimen Alchimistenlabor eine ganz besonders reine Sorte Mutterkorn hergestellt haben. Er hatte es die ganze Zeit vor Augen gehabt und trotzdem nicht gesehen!
Verzweifelt dachte Simon über einen Ausweg nach. Die beiden grobschlächtigen Helfer des Venezianers dort unten hatten sich in eine Ecke der Mühle zurückgezogen und tranken abwechselnd aus einer mitgebrachten Tonflasche. Ihren zufriedenen Mienen nach zu urteilen war es hochprozentiger Branntwein. Trotzdem war sich der Medicus sicher, dass die Diener nicht annähernd genug betrunken waren, um keine Gefahr mehr darzustellen. Was sollte er alsotun? Die Stadtwachen alarmieren? Bis die tollpatschigen Büttel von der Brückenwache hier angeschlurft kamen, war Silvio mit Magdalena vielleicht schon über alle Berge. Außerdem – wer konnte garantieren, dass nicht auch einige Patrizier in das Komplott eingeweiht waren? Hatte nicht auch der Kämmerer Mämminger versucht, an das Pulver heranzukommen? Hatte er nicht extra dafür einen Meuchelmörder gedungen?
In diesem Augenblick hörte Simon hinter sich ein Geräusch. Er drehte sich um und sah mit Entsetzen, wie ein weiterer von Silvios Dienern wie eine Katze den Holzstapel hochgeklettert kam. Sie waren also zu dritt! Offenbar hatte einer von ihnen vor der Tür Wache gehalten und ihn nun bemerkt.
Als der Mann begriff, dass er entdeckt worden war, stieß er einen Fluch aus und fasste nach Simons Fuß, der nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war. Verzweifelt trat der Medicus nach unten und erwischte den anderen voll im Gesicht. Mit einem gellenden Schrei stürzte der Diener in die Tiefe, wobei er im Fallen einige Holzstämme mit sich riss. Der ganze Stapel geriet in Bewegung, Simon spürte, wie sich unter ihm die Stämme zu lösen begannen. Gleich würde er von ihnen wie zwischen Mühlsteinen zermahlen werden.
Er richtete sich auf, versuchte noch, auf den schlingernden Baumriesen das Gleichgewicht zu halten, und rettete sich schließlich mit einem wagemutigen Sprung zur Seite. Krachend gingen die Stämme neben ihm zu Boden. Simon erblickte den Diener, der sich verzweifelt bemühte, von dem tosenden Chaos wegzukriechen. Im nächsten Moment stürzte ein tonnenschwerer Stamm herunter und begrub den Mann unter sich. Seine Schreie verstummten abrupt.
Nochimmer polterten die Baumstämme rund um Simon zu Boden, wie Blitze schlugen sie um ihn herum ein. Plötzlich verspürte er einen heftigen Schlag an der Schulter und wurde umgerissen. Ein langer Stamm rollte über seine Oberschenkel, blieb dort liegen und nagelte ihn am Boden fest. Simon rutschte hin und her, er stemmte sich mit aller Kraft gegen das Holz, doch es gelang ihm nicht, sich zu befreien.
Von einem Augenblick auf den anderen war das Poltern vorüber, stattdessen hörte er jetzt leise Schritte, die näher kamen. Vergeblich versuchte Simon den Kopf zur Seite zu drehen. Plötzlich legte sich ein Schatten über sein Gesicht, er blinzelte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er direkt über sich den Venezianer stehen.
Silvio legte den Kopf schräg, lächelte und fuhr schließlich mit dem Degen an Simons bebendem Brustkorb entlang, Zentimeter für Zentimeter, bis er endlich am Hals innehielt.
»Sieh an«, flüsterte der Gesandte. »Der treue, eifersüchtige Liebhaber. Che dramma! Wenigstens habt Ihr jetzt einen guten Grund, mich nicht leiden zu können.«
Schweigend saßen sich Jakob Kuisl und der Regensburger Scharfrichter in einem kleinen morschen Kahn gegenüber und trieben auf der Donau auf das östliche Ende der Stadt zu.
Sie hatten das wurmstichige Boot gleich hinter der Holzlände einem Fährmann abgeschwatzt, der für ein paar Heller keine
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