Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
zugewucherter Pfad in den Wald hinein. Beinahe hätten sie ihn übersehen. Der Weg glich eher einem Wildwechsel, doch als sie die Stelle näher untersuchten, stießen sie zwischen Blättern und fauligen Ästen auf einen moosüberwachsenen Grenzstein. Daneben verrotteten im nassen Laub die Überreste eines umgefallenen Marterls.
Jakob Kuisl hob das zersplitterte Kruzifix in die Höhe und lehnte es beinahe andächtig an den Stein.
»Weidenfeld«, murmelte er. »Wir sind auf dem richtigen Weg.«
Sie betraten den Pfad und kämpften sich mühsam vorwärts über umgefallene Bäume und durch dichtes Gestrüpp. Frisch umgeknickte Zweige zeigten ihnen, dass bereits kurz vorher jemand hier entlanggegangen war. Es roch nach Pilzen, Verwesung und morschem Holz, mittlerweile waren nur noch ihre eigenen Schritte und ihr gedämpftes Schnaufen zu hören.
Nach einer guten Viertelstunde öffnete sich der Wald plötzlich zu einer sonnigen Lichtung, die von hohen Büschen und jungen Bäumen bewachsen war. Jakob Kuisl brauchte eine Weile, bis er erkannte, dass verborgen im Gehölz die Überreste von Häusern standen. Ein Reh knabberte an einem Haselnussstrauch, der aus einem verfallenen Brunnen wuchs. Als das Tier die Fremden bemerkte, sprang es davon und hinterließ eine Stille, die Jakob Kuisl den Atem raubte.
Weidenfeld …
Verloren in seinen Erinnerungen sah der Henker sich um.Dächer waren eingestürzt, verkohlte Balken ragten aus der Erde, von den Hauswänden waren teilweise nur noch Steinhaufen übrig, über die blaues Vergissmeinnicht wucherte. In der Mitte zeichnete sich eine Straße ab, die mittlerweile kniehoch mit Farn und wildem Getreide überwachsen war. Weiter hinten ragte aus einem Berg von Steinen ein kleiner Turm hervor. Schiefe, moosüberwachsene Grabsteine erinnerten Kuisl daran, dass hier wohl einst die Dorfkirche gestanden hatte.
Oben auf dem Turm saß in einem ausgebrannten Fensterloch ein Mann und ließ die Beine baumeln. Er winkte ihnen, näher zu kommen. Doch unwillkürlich wich der Henker einen Schritt zurück.
Wie ist das möglich? Aus welcher Hölle bist du zurückgekommen?
Der Mann, der seine Lippen nun zu einem wölfischen Grinsen verzog und wie ein altes Weib kicherte, war seit fast dreißig Jahren tot.
Mit armdicken Tauen zu Bündeln verschnürt lagen Simon und Magdalena am Boden der Mühle, während der venezianische Gesandte um sie herumschritt. Sein Gang hatte beinahe etwas Tänzelndes.
»Simon, Simon«, sagte Silvio Contarini und tupfte sich mit einem weißen Spitzentuch den Schweiß von der Stirn. »Ihr bringt mich in eine heikle Lage. Sagt selbst, was soll ich jetzt mit Euch machen? Für Eure reizende Begleitung habe ich ja durchaus noch Verwendung, aber für Euch?« Er schüttelte den Kopf. »Ihr hättet wirklich alle drei in Schongau bleiben sollen. Ihr, verehrter Medicus, la bella signorina und natürlich ihr sturschädliger Vater. Aber jetzt ist es dafür zu spät. Woher wisst Ihr überhaupt von unserem kleinen Versteck? Redet schon, oder muss ich Eucherst das Mehl in den Schlund stopfen, damit Ihr plaudert?«
Simon versuchte die Arme unter den Fesseln herauszuziehen, doch die Bootstaue waren fest wie Eisenspangen. Sein Blick glitt zu Silvios Dienern, die in einer Ecke der Mühle ihren Branntwein soffen. Mittlerweile waren drei weitere grobschlächtige Gesellen hinzugekommen. Wie ihre Kameraden trugen sie fleckige Lederwesten und mit Schlick verschmierte Hosen; den einen oder anderen von ihnen glaubte Simon bereits als Tagelöhner an der Floßlände gesehen zu haben.
Grimmig starrten sie alle fünf den Medicus an, der ihren Freund in den Tod geschickt hatte. Simon war klar, dass ihm ein äußerst schmerzhaftes Ende blühte, wenn ihm nicht bald etwas einfiel. Auf was hatte er sich hier nur eingelassen!
»Es war nur eine Vermutung, aber ich hatte recht!«, keuchte er rot vor Anstrengung. Verzweifelt starrte er Silvio Contarini an, der ihn immer noch musterte wie ein lästiges Insekt. »Wo sonst hättet Ihr solche Mengen Korn mahlen können?« Stöhnend gab Simon die Bemühungen, die Fesseln zu lockern, auf und sank wieder auf den Boden zurück.
»Als mir klar wurde, dass es sich bei dem gemahlenen Pulver um Mutterkorn handelte, fiel mir wieder ein, wie viel von dem Zeug unten in der Alchimistenküche des Baders gelagert hatte«, begann er. »Wir haben dort nur noch die Asche gefunden, aber es müssen einmal viele Zentner gewesen sein. Für so viel Korn braucht man eine große
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