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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Kirchturm immer noch sein Bruder stand und mit funkelnden Augen auf die beiden Kämpfenden herunterstarrte. Friedrichs Armbrust lag in Reichweite auf der Fensterbrüstung. Kuisl vermutete, dass der hünenhafte Söldner nur kurze Zeit brauchen würde, um sie erneut zu laden.
    »Macht dir mein Bruder Angst?«, knurrte Philipp Lettner und zeigte seine weißen Zähne wie ein Wolf. Unerbittlich schob er Kuisl mit dem Katzbalger Richtung Kirchenruine. »Vergiss nicht, Friedrich ist ein Monstrum, das du selbst erschaffen hast. Hast wohl gedacht, er wäre damals in dem Bauernhaus verbrannt? Aber mein Bruder ist stark, stark und zäh wie alle Lettners. Er hat sich aus den rauchenden Trümmern befreit und mich, nachdem ihr überstürzt abgezogen wart, vom Baum geholt. Nur für Karl, unseren Jüngsten, kam jede Hilfe zu spät. Das hier ist für Karl.«
    Unbemerkt hatte Lettner einen Parierdolch aus seinem Gürtel gezogen und zielte auf den Bauch des Henkers. Jakob Kuisl drückte mit dem linken Arm gegen die Klinge und wischte das Messer im letzten Moment zur Seite. Sofort meldete sich der Schmerz in seiner Schulter zurück. Der Schock war so heftig, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Blind vor Pein trat Kuisl mit dem Fuß gegen seinen Feind und erwischte ihn in der Magengegend. Mit einem Ächzentaumelte Lettner ein paar Schritte zurück und stolperte über die eingestürzte Mauer eines Bauernhauses.
    Ohne sich noch einmal umzusehen, nutzte der Henker die kurze Verzögerung und rannte auf die Kirchenruine zu. Wenn er gegen den Söldner eine Chance haben sollte, dann nur, wenn er aus der Deckung angreifen konnte. Vielleicht gab es in der verfallenen Dorfkirche ja ein Versteck, irgendetwas, hinter dem er Schutz suchen konnte.
    Als er die Ruine betrat, umfing ihn dämmriges Licht. Die Sonne schien schwach durch die teils eingestürzten Dachbalken, in denen Schwalben und Tauben nisteten. Lianen von Efeu rankten wie giftige Schlangen an den Überresten des linken Seitenschiffs empor. Der rechte Kirchenflügel war besser erhalten, ein mannshohes verrußtes Holzkreuz hing an der Wand. Doch auch hier waren die Kirchenfenster schwarze tote Augen, überwuchert mit Brombeersträuchern, die das Licht nur spärlich hineinließen. Modriges Laub rieselte von der Decke, irgendwo summten Bienen.
    Weiter vorne entdeckte Jakob Kuisl den ehemaligen steinernen Altar, der ohne Tücher, Monstranz und güldenen Zierrat wie ein gewaltiger heidnischer Opferblock wirkte. Der Henker rannte darauf zu und kauerte sich mit dem Rücken an die dem Kirchenraum abgewandte Seite, um wieder zu Atem zu kommen.
    Schon kurz darauf waren Schritte zu hören. Kuisl brauchte einige Zeit, um festzustellen, dass sie nicht vom Eingang her tönten, sondern aus dem Kirchturm. Er schob sich an den Rand des Altars und spähte hinüber zum rechten Seitenschiff, wo der verfallene Eingang zur Turmruine lag. Hinter einem Haufen moosbewachsener Steine tauchte ein Monstrum auf.
    Es war Friedrich Lettner.
    DerHüne hielt die geladene Armbrust in der Hand und zielte damit auf den Altar. Kuisl duckte sich, als ein spitzer Bolzen nur wenige Zentimeter neben seiner Nase einschlug und winzige Steinsplitter in alle Richtungen versprühte.
    »Weißt was, Kuisl? Warum soll ich den ganzen Spaß eigentlich nur meinem Bruder überlassen?« Friedrichs tiefe Stimme hallte durch die Kirchenruine. »Am Kreuz festnageln werd ich dich mit dem Bolzen und dir dann die Augen ausbrennen. Schade, dass dieser Regensburger Scharfrichter das nicht mehr erleben kann. Eine solche Tortur hätt er noch nie gesehen.« Ein leises quietschendes Geräusch ertönte, ein Geräusch, das der Henker früher viele Male gehört hatte. Es war die Kurbel an der Armbrust, mit der Friedrich Lettner die Sehne neu spannte.
    »Wie lang hab ich diesen Augenblick herbeigesehnt, Kuisl!«, sagte Friedrich, während er routiniert an der Kurbel drehte. »Philipp hat ja gemeint, ich soll nicht mit dir auf dem Floß zurück nach Regensburg fahren. Du würdest mich vielleicht erkennen. Aber irgendjemand musste dir den Brief schließlich bringen. Und außerdem …« Sein Lachen klang rau, beinahe röchelnd, als hätten die Flammen damals auch seine Kehle versengt. »So wie ich ausseh, würd mich nicht mal mehr meine eigene Mutter erkennen.«
    »Halt’s Maul, Friedrich! Du redest zu viel!« Es war die Stimme Philipp Lettners, der mittlerweile die Kirchenruine betreten hatte. Er hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hüfte, offenbar

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