Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
hatte er sich beim Sturz über die Mauer verletzt. »Spann gefälligst deine Armbrust, der Hund ist immer noch gefährlich.«
Friedrich brummte etwas Unverständliches, kurz darauf ertönte erneut das Quietschen der Kurbel.
Währendihn ein weiterer Fieberschub heimsuchte, dachte Jakob Kuisl darüber nach, welche Möglichkeiten ihm hier hinter dem Altar noch blieben. Er war ihnen direkt in die Falle gelaufen! Wenn Friedrich in wenigen Sekunden die Armbrust gespannt hatte, würde Philipp ihn vermutlich wie eine Ratte hinter dem Altar hervortreiben. Der Henker hatte keinen Zweifel, dass ihn der Bolzen diesmal treffen würde. Friedrich hatte bereits draußen beim Regensburger Scharfrichter bewiesen, dass er das Schießen nicht verlernt hatte. Kuisl biss sich auf die Lippen, das Fieber hatte ihn in einen Zustand höchster Erregung versetzt. Er wusste, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb, bis entweder die Armbrust oder der Katzbalger sein Schicksal besiegelte.
Ist das das Ende?, dachte er. Hier, wo mein neues Leben begann, soll es auch wieder enden?
Noch einmal wagte er einen Blick hinter dem Altar hervor. Philipp Lettner stand abwartend und mit erhobenem Schwert am Eingang der Kirche, sein Bruder Friedrich kurbelte weiter an seiner Armbrust. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde der Söldner damit fertig sein. Kuisl betrachtete Friedrichs vom Feuer zerstörtes Gesicht, das er das letzte Mal auf dem Floß nach Regensburg gesehen hatte. Die Haut war zu einer harten Masse verschmolzen wie die verbrannte, schrundige Borke einer Eiche, doch die Augen dahinter waren dieselben geblieben. Kalt, blau und böse. Um Friedrich herum summten mehrere Wespen, die sich offenbar von dem plötzlichen Durcheinander in der Ruine gestört fühlten. Sie waren erstaunlich groß und schimmerten gelb-schwarz, ihre Flügel flirrten in der Mittagssonne.
Wespen?
Erst jetzt erkannte Jakob Kuisl, dass es keine Wespen, sondernausgewachsene Hornissen waren. Zornige, fast fingerlange Insekten, die vor Friedrichs schorfiger Nase auf und ab flogen. Immer wieder musste der Söldner seine Arbeit an der Kurbel unterbrechen, um sie zu vertreiben. Wo kamen die Biester nur alle her?
Kuisls Blick wanderte an der Mauer entlang, über den Efeu und die moosbewachsenen Steine, schließlich entdeckte er das Nest. Es hing oben an der Decke, verborgen zwischen rußigen Balken und Brombeersträuchern.
Direkt über Friedrich.
»Verflucht, wie lange dauert das noch?«, zischte Philipp Lettner. »Siehst du nicht, dass er sich wie ein waidwunder Keiler hinter dem Altar verschanzt hat? Wir müssen ihn gemeinsam da raustreiben.«
»Gleich, gleich«, brummte Friedrich. »Ist eine starke Sehne. Da geht der Bolzen durch drei Männer wie das Messer durch die Butter. Muss nur noch …«
Er kam nicht mehr dazu auszureden. Wie ein Racheengel hatte sich Jakob Kuisl hinter dem Altar plötzlich erhoben und einen faustgroßen Stein in Richtung des Hornissennests geworfen. Der Brocken traf den grauen Bau genau in der Mitte, das Nest schwankte leicht hin und her, schließlich fiel es wie ein gefüllter Weinsack zu Boden und platzte auf.
Hunderte wütender Hornissen strömten daraus hervor und hüllten Friedrich Lettner in eine dunkle, tödlich summende Wolke. Laut schreiend ließ er die Armbrust fallen und hielt sich schützend die Hände vors Gesicht, doch die Insekten krabbelten bereits emsig zwischen seinen vielen Narben hin und her.
Eine gelb-schwarze brodelnde Masse, die wie besessen wieder und wieder zustach.
Simonhörte das Knistern der Lunte, die unaufhaltsam Richtung Mühleneingang brannte. Durch einen Schlitz in der Tür glaubte er bereits das Gleißen des entzündeten Schwarzpulvers sehen zu können. Jetzt hatten die Funken die Tür erreicht und fraßen sich an der Zündschnur entlang hin zu dem Haufen aus Spelzen, Holzspänen und kleinen Brettern, in den Silvio Contarini das hintere Ende der Schnur gesteckt hatte.
Verzweifelt warf sich der Medicus hin und her, doch die Fesseln gaben keinen einzigen Millimeter nach. In seiner Panik versuchte er, wie ein Wurm auf die Tür zuzurobben, nur um festzustellen, dass ihn der Venezianer zusätzlich noch an einen Balken gefesselt hatte. Er wurde vom Seil zurückgerissen und hielt erschöpft inne. Mehlstaub umwaberte wie weißer Nebel die Fässer, Säcke und Kisten, die weiterhin in der Mühle lagerten. In einer der Kisten warteten mehrere Pfund Schießpulver darauf, in die Luft zu gehen.
»Zu Hilfe! Hört mich denn
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