Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Gewicht in Gold versprochen hatte.
»Dann schreiten wir jetzt zum großen Feuerwerk. Il grande finale! «
Mit pathetischer Geste näherte sich Silvio Contarini einem großen hölzernen Mehlkasten, der in Kopfhöhe angebrachtwar. Er öffnete die Klappe, und sofort ergoss sich das Mehl auf den Boden, wobei große Wolken Staub aufstiegen. Schon bald war die ganze Mühle in dichte Schwaden gehüllt, nur noch schemenhaft konnte Simon den Venezianer neben dem Kasten erkennen. Er sah aus wie ein von Nebel umwehter Geist. Zwei der Flößer packten die zappelnde Magdalena und trugen sie nach draußen.
»Mehl ist ein wunderbarer Stoff«, sagte Silvio Contarini mit schwärmerischer Stimme. »Man kann damit Brot backen, Leute vergiften und sogar Bomben bauen. Schon der kleinste Funke genügt, um Mehlstaub zum Explodieren zu bringen. Die Menge hier dürfte ausreichen, um die halbe Insel in die Luft zu jagen. Aber das weißt du als studierter Bücherwurm sicher längst, nicht wahr?«
Im Dunst des Staubs sah Simon nun, wie der Venezianer hinter einem Mühlstein eine kleine Truhe hervorholte und öffnete. Er zog etwas daraus hervor, das zunächst wie ein langes Seil aussah. Erst als Silvio den Gegenstand auseinanderrollte, erkannte Simon, was es wirklich war.
Eine Lunte.
»Das hier habe ich schon vor einiger Zeit in der Mühle gefunden«, sagte Silvio Contarini, während er langsam die Zündschnur auf dem Boden auslegte und rückwärts zum Ausgang schritt. »Zusammen mit einer ganzen Truhe Schießpulver und einem Dutzend Musketen. Ich nehme an, dass Soldaten sie im Großen Krieg hier vergessen haben. Wie schön, dass ich nun endlich Verwendung dafür finde.«
Der Venezianer blieb in der offenen Tür stehen und blickte seinen Gefangenen ein letztes Mal an. Mittlerweile war Simon wieder in der Lage zu sprechen.
»Wo … wo bringt ihr Magdalena hin?«, keuchte er. »Wohin kommen … die ganzen Säcke?«
SilvioContarini lächelte. »Nun, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, nicht wahr? Aber ich fürchte, du hast jetzt andere Probleme.«
Er holte ein Zunderkästchen aus der Rocktasche und schüttelte es leicht hin und her.
»Wenigstens wird es nicht weh tun«, sagte er. »Das verspreche ich dir. In dem Augenblick, in dem der Funke den Mehlstaub erreicht, fliegt hier alles mit einem einzigen lauten Knall in die Luft. Zusammen mit dem Schießpulver wird das ein Feuerwerk geben, das man in ganz Regensburg sieht.« Er machte eine leichte Verbeugung. »Wünsche guten Flug.«
Er trat nach draußen und gab den Flößern den Befehl, loszufahren. Draußen setzte sich quietschend der Karren in Bewegung. Als sich die Räder entfernten, konnte Simon ein leises, durchdringendes Geräusch hören.
Es war das Zischen der brennenden Lunte.
14
Regensburg, den 26. August mittags,
anno domini 1662
D er Angriff des Floßmeisters erfolgte so schnell, dass Jakob Kuisl sich erst im letzten Moment zur Seite drehen konnte. Die Sonne schien ihm direkt in die Augen, er musste sie kurz schließen und folgte allein seinem Instinkt. Kuisl bog seinen Oberkörper nach links und spürte fast gleichzeitig, wie der Katzbalger nur Zentimeter an seinem Gesicht vorbeirauschte. Zu seinen Füßen lag Philipp Teuber, den Bolzen in der Brust, das Hemd nass und rot von Blut. Seine glasigen Augen starrten auf die beiden Kämpfer direkt vor ihm.
Kuisl nestelte an seinem Gürtel, an dem der schartige Säbel hing. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Lettner zu einem neuen Angriff ansetzte. Der Henker zog seine Waffe blank, genau in dem Augenblick, als der Floßmeister auf seine ungeschützte linke Seite zielte. Säbel und Katzbalger trafen klirrend in Augenhöhe der Kämpfer aufeinander, es begann ein Schieben und Drücken, bei dem jeder der beiden jeweils ein paar Schritte vor und zurück wich.
Jakob Kuisl spürte, wie der Schweiß in kleinen Bächen seinen Rücken hinabfloss. Das Fieber pulste durch seinen Körper, und sein linker Arm hing wie ein toter Ast herunter. In gesundem Zustand wäre er Philipp Lettner vielleichtgewachsen gewesen; Kuisl hatte immer als der kräftigere der beiden gegolten, was sein damaliger Stellvertreter durch eine zusätzliche Portion Grausamkeit ausgeglichen hatte. Jetzt allerdings, geschwächt von der Folter, war der Henker seinem Feind hoffnungslos unterlegen. Die letzten fünfundzwanzig Jahre hatten Philipps Körper nicht fett und weich, sondern so sehnig und hart gemacht wie poliertes Nussholz. Hinzu kam, dass oben auf dem
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