Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
keiner?«, krähte Simon mit heiserer Stimme, auch wenn er wusste, dass es zwecklos war. Das Rumpeln, Stampfen und Ächzen der vielen Mühlräder auf dem Wöhrd übertönte selbst das lauteste Schreien. Noch immer verrichtete die große Getreidemühle ratternd ihre Arbeit, bald schon würde sie mit einem einzigen lauten Knall zerbersten. Ein letztes ohrenbetäubendes Geräusch, das letzte, das der Medicus je hören würde.
Vielleicht explodiert sie auch nicht , dachte Simon. Vielleicht brennt sie auch einfach nur ab, und ich verbrenne. Wenn ich nicht vorher ersticke … Herrgott, lass die Mühle wenigstens in die Luft gehen, das tut am wenigsten weh!
Die Funken der Zündschnur hatten jetzt den Innenraum erreicht. Der Staub war so dicht, dass Simon das knisternde Feuer mehr hören als sehen konnte.
Jetzt … Jetzt ist es gleich so weit.
Mit lautem Krachen schwang plötzlich die Tür auf. Simon erblickte eine Gestalt im Nebel, die ihm merkwürdig bekannt vorkam. Doch die Sicht war zu schlecht, um mehr zu erkennen.
»Weischt du überhaupt, was solche Tschäne kosten?«, ertönte eine lispelnde Stimme. »Ich schollte dich wirklich hier verschmoren lassen. Aber dann hab ich keinen, der mir mein Gebisch wieder instand setzt.«
»Nathan!«, rief Simon. »Mein Gott, Nathan, hier bin ich! Die Zündschnur! Bald fliegt hier alles in die Luft!«
»Dann sollten wir keine Tscheit verlieren!«
Der König der Bettler zog ein kleines Messer hervor und durchtrennte das Seil, das Simon mit dem Balken verband. Dann packte er den Medicus, warf ihn sich über die Schulter und eilte auf den Ausgang zu. Ächzend und mit gekrümmtem Rücken rannte er ins Freie; noch ein Dutzend Schritte taumelte Nathan weiter, bevor er sein verschnürtes Bündel äußerst unsanft hinter einem Stapel Bretter abwarf.
»Autsch!«, schrie Simon. »Pass doch auf! Du brichst mir sämtliche …«
In diesem Augenblick erschütterte eine Explosion den Wöhrd, mit einem so lauten Knall, dass der Medicus kurzzeitig taub wurde. Wie in Trance sah er einen riesigen Feuerball in den Himmel steigen. Holzsplitter, Steine, ja ganze Wandteile flogen hoch über ihm durch die Luft. Die Druckwelle war selbst hinter dem Bretterstapel noch so stark, dass Nathan wie ein dünner, morscher Baum umgeweht wurde. Heiße, verbrannte Luft umwehte sie beide wie der giftige Odem eines Drachen. Balken und Bretter regneten vom Stapel auf sie herab.
»Schnell weg hier!«, schrie Nathan gegen den tödlichen Sturman. Seine Stimme klang gedämpft, wie durch eine dicke Decke hindurch.
»Wie denn?«, brüllte Simon zurück. »Ich bin immer noch gefesselt!«
Laut fluchend hievte ihn der Bettlerkönig ein weiteres Mal auf seine Schultern und trug ihn aus dem Feuerkreis heraus. In sicherem Abstand, verborgen hinter einem Haselnussstrauch, starrten sie auf den gewaltigen Brand. Die Mühle war nur noch ein Trümmerhaufen, Flammen züngelten hoch in den Himmel wie bei einem Johannisfeuer. Selbst hier, in mehr als hundert Schritt Entfernung, war die Hitze noch spürbar.
»Wie … wie hast du mich gefunden?«, keuchte Simon schließlich nach einer Ewigkeit.
»Ich wuschte … Verflucht!« Nathan nestelte längere Zeit in seiner Mundhöhle herum, endlich schien er halbwegs zufrieden. »Meine Leute haben dich beobachtet, wie du auf den Wöhrd gegangen bist, und mir sofort Bescheid gegeben«, sagte er, jetzt mit deutlich besserer Aussprache. »Eigentlich hatte ich ja einen Preis auf deinen Kopf ausgesetzt. Keiner poliert Nathan dem Weisen ungestraft die Fresse!« Er drohte Simon neckisch mit dem Finger, doch seine Augen wirkten dabei seltsam kühl, beinahe bedrohlich. »Nun ja, plötzlich war ich neugierig, was du hier unten allein zu suchen hast, du alter Geheimniskrämer. Also hab ich die Jungs heimgeschickt und bin dir bis in die Mühle gefolgt. Die Spuren in den Sägespänen auf dem Weg kann ja ein Blinder lesen. Aber was muss ich hier erleben? Dieser venezianische Gesandte sucht mit einem vollgeladenen Fuhrwerk schleunigst das Weite, und mein getreuer Medicus fliegt um ein Haar mit Regensburgs größter Mühle in die Luft. Ich finde, du bist mir wenigstens eine Erklärung schuldig.«
»Undwenn ich dazu keine Lust habe?«, erwiderte Simon.
Nathan zuckte mit den Schultern. »Dann werf ich dich gefesselt zurück ins Feuer. Du bist gerade in keiner besonders guten Verhandlungsposition, findest du nicht?«
»Also gut«, sagte Simon seufzend. »Ich weiß jetzt, was es mit diesem Pulver
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