Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
murmelte sie. »Aber wenn dir das bei den Tollkirschen oder den Maiglöckchen passiert, landen wir schnell als Giftmischerinnen auf dem Scheiterhaufen. Also pass gefälligst auf!«
»Es … es tut mir leid«, murmelte Magdalena. »Ich bin nicht ganz bei der Sach.«
»Das hab ich gemerkt«, knurrte die Hebamme. »Aber der Resl kannst du so auch nicht mehr helfen. Wir können nur hoffen, dass die Leut demnächst wieder zu uns Hebammen kommen, wenn sie Mutterkorn brauchen. Die studierten Ärzte verstehen davon nichts.«
Die Henkerstochter seufzte und räumte die Tiegel und Gläser wieder in die Schubladen. Sie hatte der Stechlin gleich in der Frühe von der toten Bäckersmagd erzählt, die gestern auf so grausame Weise ums Leben gekommen war. Zwischen Magdalena und der Hebamme hatte sich in den letzten zwei Jahren eine echte Freundschaft gebildet, auch wenn Martha Stechlin beinahe zwanzig Jahre älter war. Beide waren sie im Ort nicht gern gesehen, auch wenn man heimlich ihre Dienste in Anspruch nahm. Man tuschelte über sie, und vor allem die Männer machten einen Bogen um die zwei Frauen, die ihrer Meinung nach dem lieben Herrgott allzu oft ins Handwerk pfuschten.
Trotzdem bereitete Magdalena ihr Beruf viel Freude, wohl auch deshalb, weil sie sich als Tochter eines Henkers schon fast ihr ganzes Leben mit Kräutern beschäftigt hatte. Magdalena wusste, dass Hopfen bei Mannsbildern die Lüsternheit dämpfte und Frauenmantel während der Schwangerschaft half. Sie kannte die Mittel, die ein Weib fruchtbarmachten – aber auch diejenigen, die einen unwillkommenen Fötus rechtzeitig aus dem Leib spülten. Ihr Vater hatte ihr die ersten Heil- und Giftpflanzen gezeigt, als sie gerade laufen konnte. Seitdem waren jedes Jahr Dutzende neue hinzugekommen, mittlerweile kannte sie sich fast besser aus als der Henker. Nicht nur einmal hatte Magdalena mit dem passenden Kraut einer jungen Magd die Schande erspart, einen vaterlosen Balg aufzuziehen. Das eine oder andere Mädchen hatte die Henkerstochter vielleicht sogar davor bewahrt, als Kindsmörderin unter dem Schwert ihres Vaters zu enden.
Bei Resl Kirchlechner war sie jedoch zu spät gekommen.
»Den Glaskolben, schnell!«
Die Stimme Marthas riss Magdalena wieder aus ihren düsteren Gedanken. Sie eilte zur Truhe und holte den hohen Glaskolben heraus, den sie vorsichtig auf den Tisch stellte. Die Hebamme nahm den Topf vom Herd und goss in einem feinen Strahl die blubbernde grüne Flüssigkeit in den Kolben.
Während die Henkerstochter den Glaskolben aufrecht hielt und dem grünen Trank zusah, wie er behäbig durch einen Filter in den unteren Teil des Behälters tropfte, musste sie wieder an die Magd des Bäckermeisters denken. Was für eine schreiende Ungerechtigkeit, dass Michael Berchtholdt noch immer frei herumlief! Den Frauen verpasste man die Schandgeige, und die hohen Herren konnten tun und lassen, was ihnen beliebte! In den buntesten Farben malte Magdalena sich aus, wie ihr Vater den Berchtholdt mit Ruten aus der Stadt trieb. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Sollte sie sich an den Rat wenden? Dem Gerichtsschreiber Johann Lechner davon erzählen? Vermutlich würde man sie nur auslachen. Außerdemwar Michael Berchtholdt gefährlich. Seine letzten Worte waren keine leere Drohung gewesen.
Geht raus und erzählt es den Leuten, und ich verspreche, dass ich euch das Leben zur Hölle machen werde …
In diesem Augenblick flog ein faustgroßer Stein durch eines der geöffneten Fenster, dann ein zweiter und ein dritter. Ein Klirren war zu hören, als der Glaskolben getroffen wurde, in hohem Bogen spritzte das heiße Öl Martha Stechlin ins Gesicht. Die Hebamme taumelte nach hinten, rutschte am Tisch ab und wälzte sich schließlich schreiend auf dem Boden, während sie die Augen mit ihrer schmutzigen Schürze bedeckte. Weitere Steine prasselten und landeten in den Regalen mit den Tiegeln und Phiolen, die lärmend zerbarsten.
Magdalena lief zum Fenster, duckte sich und lugte vorsichtig über das Fensterbrett. Draußen stand eine Gruppe Burschen feixend in der Mitte der Gasse. Es waren Lehrlinge und Gesellen, keiner von ihnen älter als zwanzig Jahre. Die Henkerstocher erkannte gleich drei von Michael Berchtholdts Söhnen darunter.
»Brau deine stinkenden Tränke unten im Gerberviertel, Henkersdirn!«, geiferte der mittlere von ihnen und machte eine obszöne Geste. Peter Berchtholdt war höchstens sechzehn Jahre alt, von schlaksiger Gestalt, die Nase übersät mit
Weitere Kostenlose Bücher