Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
er. Doch Simon hörtenicht zu, sondern eilte mit tränennassem Gesicht nach draußen, wo bereits der Morgen graute. Was war nur in ihn gefahren? Beinahe hätte er seinen eigenen Vater umgebracht!
Verzweifelt versuchte Simon einen klaren Gedanken zu fassen. Er musste fort von hier, weg aus dieser Stadt, die ihm die Luft abschnürte und ihn zu einem Duckmäuser werden ließ. Eine Stadt, die ihm verbot, die Frau zu heiraten, die er liebte. Die jeden einzelnen Schritt in seinem Leben bestimmen wollte.
Er trat hinaus auf die Gasse, wo der schleimige Unrat in großen, zusammengeschobenen Haufen zum Himmel stank. Ganz Schongau roch so, roch nach Kot, Mist und Urin. Simon taumelte durch die menschenleeren Gassen, vorbei an verschlossenen Ladentüren und verrammelten Fensterläden. Ein neuer, brütend heißer Tag erhob sich über der Stadt.
Die Maus war ganz nah an Jakob Kuisls Ohr. Der Henker spürte, wie sie seine Haare streifte, wie ihre winzige Schnauze seine Wange berührte. Er versuchte, so wenig wie möglich zu atmen, um das Tier nicht zu ängstigen. Sie schnupperte an seinem Bart, in dem noch winzige Reste des gestrigen Eintopfs klebten.
Mit einer plötzlichen Bewegung griff der Henker nach oben und erwischte das Tier am Schwanz. Fiepend baumelte die Maus über seinem Gesicht und ruderte mit ihren Beinen, während er sie bedächtig musterte.
Gefangen, wie ich. Zappelt und kommt nicht vom Fleck …
Die ganze Nacht saß er nun bereits in diesem Loch im Regensburger Jakobsturm. Sie hatten ihn in eine kleine Kammer im Keller gesperrt, die sonst offensichtlich als Abstellraumgenutzt wurde. Zwischen rostigen Kanonen und zerlegten Arkebusen wartete der Henker nun auf sein weiteres Schicksal.
Bildete er es sich nur ein oder hatte es wirklich irgendwer auf ihn abgesehen? Einige der Wachen hatten bei seiner Festnahme miteinander getuschelt und auf ihn gezeigt, ganz so, als würde man ihn schon kennen. Jakob Kuisl dachte an den vom Hass verzehrten Flößer, der ihn seit Tagen beobachtet hatte. Und was war mit dem Bauern vor dem Stadttor gewesen? Hatte der ihn etwa aushorchen wollen? Konnte es sein, dass sich alle gegen ihn verschworen hatten?
Könnte es sein, dass ich verrückt werde?
Noch einmal versuchte er sich daran zu erinnern, woher er den Mann auf dem Floß kannte. Ihre Begegnung musste weit zurückliegen. Ein Kampf? Eine Schlägerei im Wirtshaus? Oder war er einer der vielen gewesen, die Jakob Kuisl in seinem bisherigen Leben an den Pranger gestellt, mit Ruten ausgepeitscht oder gefoltert hatte? Kuisl nickte. Das erschien ihm am wahrscheinlichsten. Irgendein kleiner verurteilter Übeltäter, der den Schongauer Scharfrichter wiedererkannt hatte. Die Stadtwachen hatten ihn festgenommen, weil er einen der ihren angegriffen hatte. Und der neugierige Bauer war einfach nur ein neugieriger Bauer gewesen.
Keine Verschwörung, nur eine Reihe von Zufällen.
Vorsichtig setzte Jakob Kuisl die Maus auf dem Boden ab und ließ ihren Schwanz los. Mit kleinen flinken Beinen huschte das Tier auf ein Loch in der Wand zu und verschwand darin. Nur wenige Augenblicke später ließ ein Geräusch den Henker aufschrecken. Die Tür seiner Zelle öffnete sich quietschend, und ein schmaler Spalt Morgensonne, der Jakob Kuisl in die Augen stach, fiel herein.
»Dukannst gehen, Bayer.«
Es war der Hauptmann der Jakobswache mit dem gezwirbelten Schnurrbart und dem blitzenden Kürass, der nun die Tür ganz öffnete und ihn mit einer fordernden Handbewegung nach draußen winkte. »Hast dir den Arsch lang genug auf Stadtkosten breitgesessen.«
»Ich bin frei?«, fragte Jakob Kuisl verwundert und erhob sich von seinem staubigen Lager.
Der Hauptmann nickte ungeduldig, in seinen Augen lag ein nervöses Flackern, das sich Kuisl nicht erklären konnte.
»Wirst wohl dein Mütchen abgekühlt haben. Lass dir das eine Lehre sein, dich nicht mit der Regensburger Stadtwache einzulassen.«
Mit einem Gesicht so unbewegt wie aus Fels schob sich Kuisl an dem Hauptmann vorbei, stieg die Treppe nach oben und trat ins Freie. Es war früher Morgen, doch bereits jetzt hatte sich eine neue Menschenschlange vor dem Jakobstor gebildet. Die ersten Händler und Bauern strömten mit ihren Kraxen und Handkarren in die Stadt.
Ob der Flößer mit den Narben darunter ist? , dachte der Henker und musterte beiläufig die vielen Gesichter, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken.
Hör auf rumzuspinnen und kümmer dich lieber um deine kleine Schwester!
Ohne sich
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