Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
sollten.
Als er die knarzende Treppe nach unten stieg, bemerkte Simon staunend, dass sich die vor wenigen Stunden noch leere Gaststube mittlerweile bis zum letzten Platz gefüllt hatte. Überall an den Tischen saßen knorrige Flößer, Pfeife schmauchende Handwerker, aber auch reichere Bürger mit Spitzenkragen und funkelnden Knöpfen. Gemeinsam ließen sie laut lachend und schwatzend die Würfel rollen. Der Wein floss in Strömen, dass die dürre Wirtin mit dem Servieren der übervollen Krüge kaum nachkam. Tabakrauch lag wie eine dichte schwarze Wolke über den Männern; auf so manchem Schoß räkelte sich ein grell geschminktes Weibsbild, griff ihrem Freier kichernd zwischen die Beine und leckte sich die Lippen, von denen tiefroter Wein tropfte.
Hinten in der Ecke, auf seinem alten Platz, lehnte der Venezianer am Ofen und blickte mit verträumten Augen auf das menschliche Chaos um ihn herum. Gelegentlich nippte er an seinem Wein, als Einziger im Raum hatte er ein Glas aus Bleikristall vor sich stehen.
»Ah, la bella signorina und ihr tapferer Beschützer!«, begrüßte er Magdalena und Simon, als sie an ihm vorbeigingen. »Habt Ihr Euer Liebesnest verlassen, um Euch den Freuden der Nacht hinzugeben? Setzt Euch zu mir, signorina , und erzählt, ob Ihr das kleine Büchlein schon gelesen habt!Ich … come si dice … brenne darauf, Euer Urteil zu erfahren.«
Reserviert schüttelte Simon den Kopf. »Bedauere, aber wir haben heute noch etwas anderes vor.«
Silvio Contarini zwinkerte ihnen zu. »Dafür hättet Ihr auch oben bleiben können, nicht wahr?«
Lächelnd schob sich Magdalena an ihm vorbei. »Hat Euch Eure Mutter nicht beigebracht, dass man die Nase nicht in die Angelegenheiten anderer Leute steckt? Lasst Euch den Wein schmecken. Auf ein andermal.«
»Was ist mit meinem Buch?«, rief ihr der Venezianer hinterher. »Die Gedichte! Vi piacciono questi versi? «
»Mit deinem Buch werd ich mir heut Nacht noch den Hintern abwischen«, knurrte Simon leise und schloss die Türe hinter sich. Sofort war es still um sie herum, nur noch gedämpft war das Gelächter durch die Butzenscheiben zu hören. Ein warmer Wind wehte den modrigen Geruch der Donau zu ihnen herüber.
»Simon, Simon.« Magdalena schüttelte mit gespielt strenger Miene den Kopf. »Ein bisserl mehr Höflichkeit, bitte. Sonst glaub ich wirklich, dass du eifersüchtig bist.«
»Ach was!« Simon stapfte voraus. »Ich kann es nur nicht leiden, wenn man mit so billigen Mitteln versucht, ein Weibsbild herumzukriegen!«
»Billig?« Magdalena grinste, während sie ihn einholte. »Du hast mir jedenfalls noch keine Gedichte geschenkt. Aber sei beruhigt, dieser Venezianer ist sogar mir zu klein.«
Sie mieden den großen Domplatz und eilten durch die stinkenden, engen Gassen Richtung Westen. Jetzt um diese Zeit war es in Regensburg so finster, dass man ohne Licht die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Simon hatte aus dem ›Walfisch‹ eine kleine Laterne mitgenommen,die er unter seinem Mantel versteckt hielt. Ein trüber Schein zeigte ihnen wenigstens die nächsten paar Meter, mehr Licht wollten sie nicht riskieren. So spät war es längst verboten, aus dem Haus zu gehen. Sollten die Wachen sie erwischen, würden sie vermutlich beide in einer Zelle landen und den morgigen Tag am Pranger auf dem Ratshausplatz verbringen. Außerdem lockte das Licht Räuber und Meuchelmörder an, die mit großer Wahrscheinlichkeit in Hauseingängen und hinter dunklen Ecken auf betrunkene Wirtshausbesucher lauerten, um ihnen ihre Geldbeutel, Silberknöpfe und bei Bedarf auch ihre blankpolierten Stiefel abzunehmen.
Wie heute Mittag glaubte Simon hinter jeder Ecke einen Wegelagerer zu sehen. Einmal hörte er nur wenige Meter hinter ihnen Kieselsteine knirschen, ein andermal war er sich sicher, das Geräusch leiser Schritte zu vernehmen. An einer engen Stelle, wo die Hauswände beinahe aneinanderstießen, griff ein Bettler ohne Beine nach Magdalenas Rock, doch die Henkerstochter entledigte sich seiner mit einem gezielten Fußtritt. Einige Betrunkene kamen ihnen entgegen, ansonsten blieb es ruhig.
Nach einer guten Viertelstunde, die dem Medicus wesentlich länger vorkam, hatten sie den Weißgerbergraben endlich erreicht. Vor ihnen in der Dunkelheit ragte das Haus des Baders auf, leise plätschernd floss der Kanal Richtung Donau. Vor der Eingangstüre stand müde eine Wache, die sich an ihrer Hellebarde festhielt und jeden Moment drohte, nach vornüber zu kippen.
»Und
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