Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
dieser Jemand war ihnen gefolgt und hatte sie unten im Keller eingesperrt, um sie bei lebendigem Leib zu verbrennen.
Weil sie etwas entdeckt hatten?
Nur was? Warum hatte der Brandstifter versucht, sie aus dem Weg zu räumen, und was hatte das alles mit der Intrige gegen Magdalenas Vater zu tun?
So in Gedanken versunken war Simon, dass er gar nicht bemerkte, wie er sich immer mehr dem Domplatz näherte. Erst als ihn die ersten Leute anrempelten, schaute er erschrocken auf. Ein paar fliegende Händler hatten bereits ihre Stände aufgebaut, aus dem Portal des Doms strömten die Besucher der Frühmesse. Viele von ihnen zeigten ernste Gesichter und waren vertieft in Unterhaltungen über den nächtlichen Brand, der so manchem Nachbarn Haus und Besitz vernichtet hatte. Jeder Kirchgänger schien den anderen mit einem noch grausigeren Detail überbieten zu wollen, und Simon musste unwillkürlich an ein altes Sprichwort denken:
Heiliger Sankt Florian, schütz unser Haus, zünd andre an …
Plötzlich rollte ein Trommelwirbel über den Platz, von rechtsnäherten sich zwei Stadtwachen. Der eine schlug die Klöppel auf eine alte Soldatenpauke, der andere hielt ein versiegeltes Pergament in den Händen. Als sich eine größere Menge um sie herum gebildet hatte, öffnete der eine Büttel das Siegel und begann mit lauter Stimme vorzulesen.
»Bürger von Regensburg, hört! Ein Feuer hat gestern in unserem schönen Regensburg gewütet und drei Dutzend Häuser vernichtet, auch Menschen kamen zu Schaden. Es heißt, der Teufel selbst sei mit seiner Gespielin unterwegs gewesen.« Gewisper war unter den Zuhörern zu vernehmen, man wartete auf grausige Einzelheiten. Nach einer dramatischen Pause fuhr der Ausrufer fort:
»Der Rat ist froh, allen Bürgern mitteilen zu können, dass es nicht der Teufel war, der dieses Feuer legte, sondern feige Menschenhand. Der ruchlosen Brandstiftung dringend verdächtigt werden zwei Personen, die sich gestern Nacht in der Nähe des Weißgerbergrabens aufhielten. Dabei handelt es sich um einen kleinen humpelnden Mann und ein schwarzhaariges Mädchen in grobem Leinenrock …«
Es folgte eine ausführliche Beschreibung der beiden Verdächtigen, die Simon blass und blasser werden ließ. Die Wachen suchten ihn und Magdalena! Vielleicht hatte irgendjemand auf dem Platz ihn schon erkannt? Tatsächlich erhob sich unter den neugierigen Passanten Getuschel, einer ging nun zum Ausrufer hin und wechselte ein paar Worte mit ihm. Der Mann deutete in Richtung Donau, ungefähr dorthin, wo sich der ›Walfisch‹ befand. Simon drückte sich an die Hauswand und spähte in die schmale Gasse hinter ihm, die in ein Labyrinth weiterer Gassen überzugehen schien. Ein älteres Paar glotzte neugierig aus einem Fenster im ersten Stock auf ihn herab. Trotzseines geschwollenen Knöchels humpelte Simon eilig los. Er musste auf dem schnellsten Weg zu Magdalena und sie warnen! Wenn es nicht schon zu spät war.
Gerade wollte er um die nächste Ecke biegen, als eine Stimme aus einem der schattigen Hauseingänge ertönte:
»Wenn du durch die kleinen Gassen abhauen willst, solltest du mich lieber als Führer mitnehmen. Sonst schneidet dir jemand die Kehle durch, noch bevor dich die Wachen wegen Brandstiftung einbuchten.«
Aus dem steinernen Portal trat ein alter, in Lumpen gekleideter Mann. Simon brauchte einige Sekunden, um im dämmrigen Licht zu erkennen, dass es Hans Reiser war; jener Bettler, den er gestern auf dem Rathausplatz vom Katarakt geheilt hatte. Reisers pockennarbiges, verstoppeltes Gesicht strahlte vor Glück. Er trug einen Verband, der sein rechtes Auge verdeckte, doch das linke zwinkerte Simon fröhlich an. Mit geöffneten Armen ging er auf den Medicus zu.
»Ich hab zu Gott gebetet, dass er dich noch einmal zu mir schickt, damit ich dich bezahlen kann!«, rief er. »Dem Herrn sei Dank, er hat mich erhört!«
»Schon gut«, zischte Simon. »Vielleicht ein andermal. Gerade bin ich … nun, etwas in Eile. Also bitte …«
Reiser legte den Finger an die Lippen und grinste. »Du musst mir nichts erzählen. Ich weiß, dass du und dieses Mädchen wegen dem Brand gestern Nacht gesucht werdet.«
»Aber woher …?«, begann Simon.
»Wir Bettler wissen vieles«, unterbrach ihn flüsternd der alte Mann. »Die Bürger denken, wir sind ein Haufen verlauster, verhungerter Drecksäcke, die für jeden verrosteten Pfennig die Hand aufhalten. Aber in Wirklichkeit sind wir mächtiger als so manche Zunft.« Er zwinkerte.
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