Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
interessierte jemand anderes.
»Was ist mit dem dritten Mann?«
Es entstand eine längere Pause.
»Wer ist der dritte?«, fragte Jakob Kuisl ungeduldig.
Philipp Teuber schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Irgendwoher kenn ich die Stimme, aber ich kann dir nicht sagen, woher.«
»Kannst du für mich rausfinden, wer das ist?«
Der Regensburger Scharfrichter hatte Kuisl mittlerweile den Rücken mit sauberen Tüchern verbunden.
»Selbst wenn ich wollte«, brummte Teuber. »Ich kann’s nicht. Der dritte Fragherr bleibt immer geheim, allein wegen seiner Unabhängigkeit. Er taucht in keinem Papier, in keiner Akte auf. So, fertig.«
Er klopfte Jakob Kuisl auf die Schulter und fing an, seine Tontiegel wieder in den Beutel zu packen.
»Morgen früh sehen wir uns wieder, da kann ich dich dann von neuem foltern«, sagte er mit einem Seufzen und wandte sich zum Gehen. »Die Fackel lass ich dir hier. Weil’s gar so duster ist.«
»Teuber«, zischte Jakob Kuisl. »Verflucht, ich muss wissen, wer der dritte Mann ist! Ich bin mir sicher, er hat was mit dem Mord zu tun. Wenn ich den Namen kenn, schick ichdie Magdalena los, um mehr rauszufinden, und dann geht die Sach vielleicht noch gut aus. Das Urteil wird erst gesprochen, wenn ich unter der Folter gesteh. Aber ich weiß nicht, wie lang ich noch durchhalt. Lass mich also jetzt nicht im Stich!«
»Zum Teufel noch mal, ich kann es nicht!« Philipp Teuber knetete seine schwieligen Hände, unfähig, Jakob Kuisl ins Gesicht zu blicken. »Fünf Kinder hab ich, die brauchen alle ihren Vater. Wenn ich das Rumstöbern anfang, kann ich gleich mit dir aufs Schafott steigen. Aber angekettet, ohne Schwert, verstehst du nicht?«
»Ich hab auch Kinder, Teuber«, antwortete der Schongauer Henker ruhig. »Kleine Zwillinge, herzallerliebst. Und meine älteste Tochter ist irgendwo dort draußen und will mir das Leben retten.«
Mit schmalen Lippen stand Philipp Teuber im Türrahmen und drückte den Leinensack, als wollte er Blut daraus pressen.
»Wir sehen uns morgen früh«, sagte er schließlich. »Versuch ein bisserl zu schlafen.«
Er schlug die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor. Jakob Kuisl hörte, wie er mit schnellen Schritten wegging. Fast schien es, als wollte er fortrennen.
Nachdenklich starrte Kuisl auf die fleckige Kerkerwand vor ihm und horchte den Schritten nach, bis sie ganz verklungen waren. Die halb abgebrannte Fackel steckte nach wie vor in einem Ring an der Wand, so dass der Schongauer Henker seine Zelle zum ersten Mal ganz genau in Augenschein nehmen konnte. Der stinkende Eimer für die Notdurft, der Holzkeil als hartes Kissen, die Kritzeleien an den Wänden … Kuisl betrachtete die merkwürdige Schrift, die ihn schon gestern so verstört hatte. Immer noch prangte sie genau in der Mitte der hinteren Zellenwand, direkt unterhalb der Zeile aus dem Söldnerlied, die er mühselig weggekratzt hatte.
P.F.K. Weidenfeld, anno domini 1637 …
Ein Vierteljahrhundert lag zwischen dem jetzigen Tag und dieser Jahreszahl. Der Henker versuchte sich zu erinnern, was damals geschehen war, woran ihn der Name und die Zahl erinnerten. Kannte er etwa jemanden, der so hieß?
P.F.K. Weidenfeld …
Jakob Kuisl war damals bereits Feldweibel gewesen, sein Obrist hatte ihn dazu ernannt. Er hatte einen Haufen Söldner kommandiert, obwohl er erst zweiundzwanzig Jahre zählte. Viele der alten Haudegen hatten deshalb leise geschimpft, doch nach den ersten Schlachten waren die meisten still geworden. Kuisl lehrte sie Disziplin und Respekt, zwei Tugenden, die Landsknechte nur vom Hörensagen her kannten. Das kalte Grauen über die Schrecken des Krieges, die Alpträume von Mord, Raub und Vergewaltigung waren in Jakob über die Jahre hinweg gewachsen wie ein giftiger weißer Pilz. Wenigstens in seinem Haufen versuchte er deshalb, das sinnlose Töten einzudämmen.
Doch welches Töten war schon sinnvoll?
P.F.K. Weidenfeld …
Mit der Fackel in der Hand fuhr Jakob Kuisl an der Wand entlang und entzifferte weitere Kritzeleien.
Plötzlich fiel ihm etwas auf.
Die Weidenfeld-Inschrift war neu, ebenso wie einige der anderen Kritzeleien! Alle waren sie mit einem spitzen Messer in die Holzwand gekerbt worden. Jakob Kuisl erkannte sie daran, dass sie im Gegensatz zu den alten Inschriften hell schimmerten. Jemand musste sie also erst vor kurzem angebracht haben.
Nur für ihn.
Leisemurmelte der Henker Namen, die er über all die Jahre versucht hatte zu vergessen.
Magdeburg,
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