Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Augen und versuchte zu erahnen, wie spät es war. Von weit her hörte er leises Rufen und Gelächer, dämmriges Licht fiel durch die Luke und ließ den Staub flirren. Es mochte früher Nachmittag sein.
Plötzlich ertönten Schritte auf dem Gang vor der Zelle, der Riegel wurde zur Seite geschoben, und herein trat der Regensburger Scharfrichter. In den Händen hielt er eine flackernde Fackel und einen Leinensack, dessen Inhalt er nun hervorkramte und auf dem Boden verteilte. Jakob Kuisl erkannte im Dämmerlicht einige Tontiegel, Lappen, getrocknete Kräutersträußchen und eine große Flasche Branntwein.
»Kuisl, Kuisl«, brummte Teuber und reichte dem SchongauerHenker die entkorkte Flasche. »Eines ist klar: Die Regensburger Ratsleute haben dich gefressen. Schwefelfeuer, Streckbank, Daumenschrauben und spanische Stiefel an nur einem einzigen Tag! Das hab ich noch nie erlebt.« Er schüttelte den Kopf. »Die wollen dich auf dem Schafott sehen, besser heut als morgen.«
Jakob Kuisl nickte und nahm einen tiefen Schluck aus der Schnapsflasche. Der Alkohol spülte durch seinen Körper und trug die schlimmsten Schmerzen mit davon.
»Und? Glaubst immer noch, dass ich der Mörder meiner Schwester bin?«, fragte er und wischte sich mit der blutigen, aufgeschwollenen Hand über die Lippen.
Philipp Teuber öffnete einen der Tiegel und strich eine Brandsalbe auf Kuisls Oberschenkel. Erst ein paar Stunden zuvor hatte er auf die gleiche Stelle brennenden Schwefel aufgetragen.
»Was ich glaub, tut nichts zur Sache«, knurrte er. »Sie haben mir gesagt, dass ich dich bis morgen wieder herrichten soll. Dann soll’s weitergehen. Dem Quacksalber von Wundarzt trauen sie’s nicht zu, also muss ich ran. Verdammte Patrizierbrut! Dreh dich jetzt um.«
Jakob Kuisl wälzte sich auf die Seite und ließ sich vom Regensburger Scharfrichter den von der Walze gespickten Rücken behandeln. Anerkennend musste er feststellen, dass Teuber sein Handwerk beherrschte – nicht nur das Foltern, auch das Heilen. Die jahrelange Arbeit mit Brandwunden, ausgerenkten Schultergelenken und Knochenbrüchen hatte aus dem Regensburger Henker einen ausgezeichneten Arzt gemacht.
»Wie findst das, Teuber?«, murmelte Kuisl mit geschlossenen Augen. »Erst tun wir den Leuten weh, dann heilen wir sie wieder …«
»Und am End bringen wir sie um.« Philipp Teuber nickte.»Ich hab aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen. Ich tue meine Arbeit, und damit ist’s gut. Jetzt die Finger.«
Jakob Kuisl reichte dem Regensburger Scharfrichter die blau angeschwollenen Daumen, die Teuber vor ein paar Stunden zerquetscht hatte. Jetzt schmierte er Kuisl eine nach Ringelblumen und Arnika duftende gelbe Paste darauf. Als er damit fertig war, wiederholte er die Prozedur an den Beinen. Die sogenannten spanischen Stiefel, mit Dornen besetzte Eisenplatten, hatten bunt schillernde Blutergüsse an Kuisls Waden und Schienbeinen hinterlassen.
»Du weißt, dass ich unschuldig bin«, flüsterte Jakob Kuisl und ballte kurz die Fäuste, um den Schmerz in den Beinen besser ertragen zu können. »Ich hab’s in deinen Augen gesehen. Du spürst selbst, dass mit einem der drei Fragherren etwas nicht stimmt. Gib’s zu.«
Philipp Teuber hielt inne und blickte sein Gegenüber lange an.
»Hol’s der Kuckuck, du hast recht«, sagte er schließlich. »Der eine Ratsherr spuckt den Hass aus wie andere Rotz und Galle. Fast könnt man glauben, es wär seine Schwester, der du die Kehle aufgeschlitzt hast.«
»Himmelherrgott, ich hab nicht …«, zischte Jakob Kuisl, doch dann beruhigte er sich wieder. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt zu streiten. Der Regensburger Scharfrichter war sein einziges Ohr zur Außenwelt.
»Kennst du die drei Ratsherren?«, fragte Kuisl, nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte.
Philipp Teuber zuckte mit den Schultern. »Der eine wird wohl der Schultheiß Hieronymus Rheiner sein. Der ist, soviel ich weiß, das älteste Ratsmitglied. Außerdem ist Rheiner der Gerichtsvorsitzende und hat deinen Fall verhandelt.«
»Natürlich!«,unterbrach ihn Kuisl. »Der Schultheiß aus meinem Prozess vorgestern. Wie konnt ich den nur vergessen!«
»Den jüngsten hab ich an der Stimme erkannt«, fuhr Teuber fort. »Das ist der Joachim Kerscher vom Ungeltamt, ein kleiner Wichtigtuer, dem sein Vater diesen Posten gekauft hat.«
Kuisl nickte. Der Vorsitzende des Ungeltamts war für die städtischen Steuern zuständig und damit ein überaus mächtiger Mann. Doch den Henker
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