Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Mauersteinen und größeren Trümmern. Plötzlich sah Simon vor sich Magdalenas Laterne aufflackern und merkte, dass er jetzt mehr Platz um sich herum hatte.
Vorsichtig richtete er sich auf und stellte fest, dass sie es tatsächlich bis in den Heizraum des Baders geschafft hatten.Doch von der früheren Einrichtung war nicht mehr viel zu erkennen. Der Ziegelofen war in Stücke zersprungen; die Kupferkessel, in denen früher das Wasser für die Badegäste erwärmt worden war, schienen ganz verschwunden zu sein. Erst nach einiger Zeit entdeckte Simon schwarz glänzende Brocken auf dem Boden, die ihn an Schlacke erinnerten. Die Kessel waren tatsächlich geschmolzen! Was für höllische Temperaturen mochten hier geherrscht haben?
Magdalena hatte in der Zwischenzeit einen Haufen Ziegel beiseitegeschoben und blickte auf ein schwarzes Loch direkt unter ihr.
»Der Brunnenschacht«, murmelte sie. »Die Sprossen sind noch da. Jetzt wird es spannend.«
Mit diesen Worten stieg sie in das Loch und kletterte nach unten. Es dauerte nur kurze Zeit, bis der Medicus sie wieder hören konnte.
»Simon, du hast tatsächlich recht gehabt! Das … das ist unglaublich!«
Plötzlich verstummte sie. Simon beugte sich über das Loch.
»Magdalena, was ist los?«, flüsterte er. »Bist du noch da?«
»Ich bin hier hinten!« Die Stimme der Henkerstochter klang merkwürdig verhallt, so als wäre sie plötzlich viel weiter weg.
»Gibt es wirklich einen Geheimgang?«, fragte Simon aufgeregt.
»Am besten, du kommst runter und siehst dir das selber an.«
Simon griff nach den Eisensprossen, wobei er einen prüfenden Blick auf die zersplitterten Balken und lockeren Steine über ihm warf. Wenn die Decke jetzt einstürzte,würden sie unten im Brunnen entweder ersaufen oder verhungern. Er konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, dass Nathan und seine Bettler wirklich zu den Schaufeln griffen und sie ausgruben.
Sprosse für Sprosse kletterte der Medicus in den Schacht, bis er zu dem Durchlass kam, der weiter in den versteckten Vorratsraum führte. Tatsächlich war die Kammer völlig ausgebrannt. Von den Säcken und Kisten, die sie beim letzten Mal hier vorgefunden hatten, lag nur noch ein Häuflein Asche auf dem Boden. Dafür entdeckte Simon etwas anderes.
Weiter hinten war ein zweiter, nur hüfthoher Eingang zu sehen. Simon näherte sich dem niedrigen Portal und bückte sich. Auf dem Boden lagen verstreut verkohlte Holzreste, an manchen von ihnen klebten noch Spuren von weißem Kalk. Unwillkürlich musste er lächeln.
Eine hölzerne Geheimtür, weiß angestrichen und verborgen hinter den Säcken. Dieser Hofmann war wirklich ein Fuchs!
Vorsichtig spähte der Medicus hinein. Vor ihm tat sich eine größere Kammer auf. Auch hier hatte das Feuer seine Spuren hinterlassen, allerdings nicht so stark wie im ersten Raum. In der linken Ecke stand ein rußiger Tisch, ein Regal war von der Wand gefallen und lag nun angekokelt am Boden. In der Mitte der Kammer thronte ein gewaltiger Steinofen, dessen Kamin senkrecht in die Decke führte. Um den Ofen herum verteilt lagen Tonscherben und Glassplitter, einige der Überreste ließen darauf schließen, dass es sich um geschliffene Linsen gehandelt haben musste.
Simon stieg über einige Scherben hinweg und fuhr mit der Hand über den noch warmen Messbalken einer fast bis zur Unkenntlichkeit verschmorten Waage.
»Holmich der Teufel, wenn das hier keine Alchimistenküche war«, flüsterte er. »Dein Oheim wird mir immer unheimlicher.«
»Ob Hofmanns Mörder diesen Raum gesucht haben?«, fragte Magdalena.
Simon nickte nachdenklich. »Gut möglich. Dein Onkel hat das Labor jedenfalls gut verborgen. Ich nehme an, dass der Kamin zum Schornstein in der Heizkammer führt. So ist keinem aufgefallen, wenn er hier in seiner Alchimistenküche mit den Destillierkolben arbeitete. Ein Bader muss schließlich immer Wasser erwärmen, also kann auch der Schornstein ständig rauchen.«
»Aber was hat das noch mit den Patriziern zu tun?« Magdalena griff nach der Scherbe einer Glaslinse und begutachtete sie, als würde in dem Splitter die Antwort auf all ihre Fragen stecken. »Bis jetzt sind wir doch davon ausgegangen, dass die Ratsherren meinen Oheim umgebracht haben, weil er einer der führenden Freien war. Eine Vergeltungsaktion, mehr nicht.«
»Offenbar ist es doch nicht so einfach«, erwiderte Simon. »Jemand hat ziemlich sicher diesen geheimen Raum gesucht. Das zeigt auch das heillose Durcheinander in der
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