Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
»Das andere Mittel nehme ich gleich mit.«
Der Fremde griff nach dem kleinen Beutel aus Seide, den ihm der Apotheker reichte, und schritt ohne ein weiteres Wort auf den Ausgang zu. Die Tür schloss sich krachend.
Magdalena zögerte kurz, dann raffte sie die Kräuter zusammen, die Biermann bereits für sie herausgesucht und abgepackt hatte, und stopfte sie in den mitgebrachten Leinensack. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass auch noch andere Kräuter auf dem Tisch lagen. Mit einer raschen Armbewegungwischte sie auch diese Kräuter in den Beutel. Wer weiß, für was ich sie noch brauchen kann, dachte sie.
Mit dem Sack in der Hand eilte sie in den Verkaufsraum und dort zur Tür.
»He! «, rief ihr Nepomuk Biermann hinterher, das Gesicht bleich und mit Schweißperlen auf der Stirn. »Was tust du? Du musst noch bezahlen! Bleib hier, dieser Mann ist gefährlich! Du verstehst nicht …«
Die weiteren Worte gingen im Lärm auf der Straße unter. Vorbei an Schneewehen und verdutzten Passanten eilte Magdalena dem Mörder des Altenstadter Pfarrers hinterher. Sie hatte keinen Plan, aber sie wollte nicht Kuisl heißen, wenn sie sich diese Chance entgehen ließ.
Auch in Schongau tobte der Schneesturm, die Bürger blieben in ihren warmen Stuben und hofften, dass ihnen das Brennholz nicht ausging. In den Wäldern ringsum war vereinzelt das Heulen von Wölfen zu hören, auf den Dächern türmte sich der Schnee und ließ die Balken ächzen. Es war ein Sturm, wie ihn selbst die Alten selten erlebt hatten, und bestimmt der schlimmste seit Ende des Großen Krieges.
Die Straßen und Gassen der Stadt waren menschenleer, bis auf eine einzelne Gestalt, die sich durch das dichte Schneegestöber vom Gerberviertel hoch in Richtung Fronfeste kämpfte. Jakob Kuisl hielt mit der rechten Hand seinen Schlapphut fest, die linke schirmte die Augen ab, um in dem Chaos vor ihm überhaupt etwas zu erkennen. Er sah aus wie ein schwarzer Riese in einem Meer aus Weiß. Leise fluchte er vor sich hin, weil ihm im Sturm die Pfeife ausgegangen war. Er würde vermutlich lange brauchen, um das nasse Ding wieder zu entzünden. Dabei hatte er den Rauch zum Nachdenken gerade jetzt bitter nötig.
Gleich nach der Ratsversammlung hatte Johann Lechner dem Henker mitgeteilt, dass er ihn noch einmal auf Räuberjagd schicken werde, um auch die zweite Bande zu erwischen.Diesmal dürfe er sich seine Mitstreiter aber selbst aussuchen. Der Henker entschied sich, den Verfolgertrupp eher kleinzuhalten. Aus dem Bericht des Räuberhauptmanns wusste er, dass es wahrscheinlich nur vier Banditen waren, die dort draußen herumstreiften, aber die waren umso erfahrenere Kämpfer. Sie hatten auf bisher unbekannte Weise die geplanten Routen einzelner Händler herausgefunden. Dabei schworen die Betroffenen, sie hätten, wenn überhaupt, nur im Kollegenkreis von ihren Absichten erzählt. Gab es also eine undichte Stelle unter den Schongauer Patriziern? War vielleicht einer von ihnen selbst in die Raubzüge verwickelt?
Man hatte die verletzten Fuhrleute des Händlers Matthias Holzhofer vernommen, doch das Ergebnis war dürftig gewesen. Die Angreifer seien vermummt gewesen, hieß es, eingehüllt in schwarze Mäntel und ausgerüstet mit Armbrüsten, Musketen und Gewehren. Es handelte sich offenbar um eine kleine, aber ziemlich schlagkräftige Truppe, die den sonst üblichen Wegelagerern weit überlegen war.
Um noch mehr über diese mysteriöse Bande herauszubekommen, hatte der Henker beschlossen, trotz des Schneesturms nach oben zur Fronfeste zu gehen. Er wollte Hans Scheller einen weiteren Besuch abstatten.
Am Tor des bulligen Turms stand keine Wache. Jakob Kuisl vermutete, dass der Büttel entweder im Wirtshaus oder im Inneren der Feste war. Wer konnte ihm das bei einem solchen Wetter verdenken? Der Henker klopfte zweimal fest gegen das eisenverstärkte Holz, dann waren von innen Schritte zu hören.
»Wer da?«, fragte eine Stimme.
»Ich bin’s, der Kuisl Jakob. Mach auf, bevor mich der Sturm wegbläst.«
Ein Schlüssel drehte sich knirschend, dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Dazwischen lugte das verkniffene Gesicht des Stadtbüttels Johannes heraus. »Was willst, hä?Dein letzter Besuch hat mich acht Kreuzer Strafe und einen Tag zusätzlichen Wachdienst gekostet. Der Lechner mag’s nicht gern, wenn man ihn hintergeht.«
»Lass mich noch einmal mit dem Scheller reden.« Der Henker schob die Tür so entschlossen auf, dass der Büttel einfach zur Seite gedrängt
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