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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Arzneien, mit Aderlass und Urinbeschau. Neben den Opfern des »Schongauer Fiebers«, wie die Seuche mittlerweile hieß, gab es noch einen mit blauen Furunkeln übersäten Tischlergesellen, einen zerquetschten Fuß, über den ein Ochsenwagen hinweggefahren war, und einen Fuhrmann mit Erfrierungen in den Händen. Der Mann hatte versucht, am ersten Tag des Sturms mit seinem Wagen von Schongau nach Landsberg zu gelangen, und war nur eine Meile von der Stadt entfernt in einem Graben liegend aufgefunden worden. Er hatte sich vergeblich bemüht, den Karren aus dem Schnee zu ziehen, bis ihn schließlich die Kälte übermannte. Simon und sein Vater waren sich einig, dass dem Mann drei Finger der linken Hand amputiert werden mussten; eine Arbeit, die Bonifaz Fronwieser seit seiner Zeit als Feldscher zu seinen Spezialgebieten zählte.
    Gemeinsam mit seiner Familie war der alte Fronwieser im Großen Krieg mit den bayerischen Landsknechten umhergezogen und hatte unzählige zerschossene Arme und Beine abgesägt und die Stümpfe ausgebrannt. Seine Frau war während dieser Zeit gestorben, und Bonifaz Fronwieser hatte sich nach dem Krieg gemeinsam mit seinem Sohn in Schongau niedergelassen. Dass der Filius vor einiger Zeit das teure Medizinstudium in Ingolstadt aus Geldmangel, aber auch aus Mangel an Interesse, abgebrochen hatte, konnte ihm der Alte noch immer nicht verzeihen. Schon damals waren Simon die neueste Mode und das eine oder andere Würfelspiel wichtiger gewesen als Hippokrates, Paracelsus und Galen.Noch schlimmer wog für seinen Vater, dass Simon mittlerweile mit dem Schongauer Henker umherzog, sich von ihm medizinische Bücher auslieh und dem Scharfrichter bei Behandlungen immer öfter über die Schulter schaute. Seine neuen Kenntnisse ließ er dann in die tägliche Arbeit im Hause Fronwieser einfließen.
    Auch bei der Amputation der drei Finger, eine Operation, die Bonifaz Fronwieser im Schlaf beherrschte, hatte Simon etwas zu bemängeln. Sie hatten den Fuhrmann mit einer Flasche Branntwein ruhiggestellt und ihm ein Brett zwischen den Zähne geschoben. Als der alte Medicus mit der Chirurgenzange die schwarzen Stumpen, die einst Finger gewesen waren, abzwicken wollte, wies Simon auf die rostigen Scherblätter.
    »Du musst sie vorher säubern«, raunte er seinem Vater zu. »Die Wunde wird sich sonst entzünden.«
    »Unsinn«, sagte Bonifaz Fronwieser. »Wir werden die Stellen nachher mit siedendem Öl ausbrennen. So hab ich’s von meinem Vater gelernt, und so ist es vernünftig.«
    Simon schüttelte den Kopf. »Die Wunde wird sich entzünden, glaub mir.«
    Bevor sein Vater etwas erwidern konnte, hatte er die Zange genommen und sie in einem Topf mit kochendem Wasser, der auf dem Herd stand, gereinigt. Erst dann fing er mit der Operation an. Sein Vater sah ihm schweigend zu, musste aber innerlich zugeben, dass Simon seine Sache gut und schnell machte. Der Junge war ohne Zweifel talentiert. Warum nur hatte er das Studium in Ingolstadt hingeworfen! Es hätte ein großer Arzt aus ihm werden können! Kein dahergelaufener Feldscher wie er selbst, sondern ein studierter Physikus, ein gelehrter, angesehener Bürger, den die Leute respektierten, den sie mit silberner Münze bezahlten und nicht mit rostigen Kreuzern, Hühnereiern und madenzerfressenem Pökelfleisch. Ein Doktor Fronwieser, der erste in der Familie …Missmutig nickte der Alte, als Simon schließlich den weißen Leinenverband festzurrte.
    »Keine schlechte Arbeit«, knurrte er. »Aber was machst du jetzt mit der schmutzigen Zange? Wirfst du sie weg und kaufst eine neue?«
    Simon schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich werde sie wieder in kochendem Wasser waschen und wieder und wieder. Der Henker macht’s genauso, wenn er einem Dieb den Daumen oder den Zeigefinger abzwickt. Und ihm ist noch keiner verreckt.« Er kontrollierte den Atem des Fuhrmanns. »Erst vor kurzem hat mir der Kuisl von einem alten Rezept erzählt. Er schmiert Schafdung und Schimmel auf die Wunde. Er sagt, es gibt nichts Besseres gegen Entzündungen. Der Schimmel ... « Er hielt inne, weil er merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Das Gesicht seines Vaters lief rot an.
    »Hör mir auf mit deinem verdammten Henker und seiner Dreckapotheke!«, rief Bonifaz Fronwieser. »Nichts als Flausen setzt er dir in den Kopf. Das Handwerk sollte man ihm verbieten! Schimmel und Schafscheiße, pah! Dafür hab ich dich nicht studieren lassen!« Er ging hinüber in die Kammer und schlug die Tür hinter sich

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