Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Aber diesmal werden nur Männer mit ihm gehen, die dafür auch tatsächlich geeignet sind.« Er sah den Bürgermeister von der Seite an. »Euer Sohn und der Sohn des Bäckermeisters sind das beileibe nicht, das haben sie bereits bewiesen. Was die Scheller-Bande betrifft ... « Lechner machte eine Pause, als müsste er nachdenken. »Hans Scheller hat die Taten bereits gestanden. Eine weitere Folter ist deshalb meinerMeinung nach nicht nötig. Wenn der Rat damit einverstanden ist, kann ich als Stellvertreter des Kurfürsten den Prozess schon in den nächsten Tagen einleiten. Die Hinrichtung erfolgt dann kurz darauf. Je eher, desto besser, schon allein als Abschreckung von weiteren Räuberbanden.«
Die Ratsherren nickten. Wie so oft kamen ihnen die Ausführungen ihres Gerichtsschreibers logisch und stichhaltig vor, sofort stellte sich bei allen ein Gefühl der Beruhigung ein.
»Ihr werdet sehen«, sagte Johann Lechner und packte Gänsekiel und Tintenfass in seine mitgebrachte lederne Aktentasche. »Spätestens wenn der Scheller oben am Galgenbichl baumelt, herrscht wieder Ruhe in der Stadt. Darauf habt Ihr mein Wort.«
9
A m folgenden Tag fegte über den ganzen Pfaffenwinkel ein Schneesturm, als wollte der liebe Herrgott alles Leben unter einer weißen Schicht begraben. Die Menschen blieben in ihren Häusern und Katen, und wenn sie kurz nach draußen sahen, murmelten sie ein Stoßgebet und schlossen wieder die Türen, an denen der Wind rüttelte. Sowohl der Floßverkehr wie auch der Transport auf den Straßen kamen zum Erliegen, und so mancher Fuhrmann, der vom Schnee überrascht wurde, starb einsam beim Versuch, seine Pferde aus meterhohen Schneewehen zu befreien. Erst Tage später fand man die Männer steif gefroren neben ihren Wagen; manche von ihnen hatten bereits die Wölfe zerrissen, die Pferde hatte das weiße Land verschluckt.
Auch über Augsburg wütete der Schneesturm. Am Tag nach ihrer Ankunft hatte Magdalena das Haus des Henkers nicht eine Minute verlassen können. Doch Zeit spielte keine Rolle, sie wusste, dass ein Stadtbummel ohnehin sinnlos gewesen wäre. Die Apotheke hatte bei solch einem Wetter mit Sicherheit geschlossen, und der nächste Handelstross, der nach Schongau ging, würde abwarten müssen, bis sich das Wetter wieder gebessert hatte. Auf eigene Faust zu reisen, das wusste Magdalena, wäre einem Selbstmord gleichgekommen.
So freundete sie sich den Tag über mit der kleinen Barbara an, die die Henkerstochter schnell ins Herz schloss. Magdalena schnitzte ihr eine Holzpuppe und sang mit ihr am Ofendie Kinderlieder, die sie auch zu Hause den Zwillingen vorsang. Deutlich spürte sie, dass das Mädchen eine Mutter brauchte. Mit großen Augen starrte Barbara sie an, fuhr ihr mit den Händchen über die Wangen und schrie immer wieder »Nochmal!«, wenn Magdalena des Singens müde wurde. Oft musste Magdalena daran denken, dass die kleine Barbara eine Henkerstochter war wie sie selbst, nur ohne Geschwister und vor allem ohne Mutter. Wie oft mochte sie vor langer Zeit genauso auf dem Schoß ihres Vaters Jakob Kuisl gesessen haben? Wie oft hatte ihre eigene Mutter sie mit den gleichen Kinderliedern in den Schlaf gesungen?
Ringelringelreie, sind der Kinder dreie. Sitzen unterm Hollerbusch …
Philipp Hartmann arbeitete währenddessen in der Kammer nebenan. Er band Kräutersträuße, flocht neue Hanfstricke und destillierte nebenbei in rußigen Kolben einen Kräuterschnaps, so dass aromatische Schwaden von Alkohol durch die Stube zogen und Magdalena fast ein wenig betrunken machten. Gelegentlich kam der Henker hinüber und fuhr seiner Tochter über das Haar oder schenkte ihr und Magdalena eine getrocknete Zwetschge oder einen Dörrapfel. Er vermied es, die Schongauer Henkerstochter zu berühren oder ihr ungehörige Avancen zu machen, trotzdem spürte Magdalena seine Blicke in ihrem Rücken. Dann wurde ihr trotz der Wärme in der Stube plötzlich kalt, sie fröstelte. Philipp Hartmann war bestimmt ein braver Mann und ein guter Vater und außerdem vermögend. Aber sie liebte eben einen anderen.
Wobei, liebte sie Simon wirklich noch? Nach der Sache mit Benedikta war ihr Gefühl merklich abgekühlt, ob vor Zorn oder Enttäuschung, konnte sie nicht sagen. Es würde Zeit brauchen, bis ihr Herz sich wieder erwärmte, das spürte sie.
Der Schneesturm wütete auch noch am nächsten Tag und flaute erst am Abend ab, die Läden blieben deshalb geschlossen. Erst am dritten Morgen nach ihrer Ankunft
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