Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Versteinerung, er hastete auf die Henkerstochter zu. Magdalena lief durch den Gang davon, stolperte über ein paar Knochen, kam wieder auf die Füße und rannte die Treppe hinauf nach oben. Hinter ihr hallten die Schritte des Mönchs. Sie rannte und rannte, immer wieder im Kreis, wie in einem alptraumhaften Karussell, die Wendeltreppe nach oben, bis sie endlich die Tür erreicht hatte.
Erst jetzt stellte sie fest, dass sich innen keine Klinke befand.
Schwer atmend warf sie sich gegen den Stein. Es war, wie gegen eine Mauer zu laufen, die Tür gab keinen Spaltbreit nach.
Sie hämmerte dagegen und trat mit dem Fuß gegen die Steinplatte.
»Hilfe!«, schrie sie. »Hört mich einer dort draußen? Helft mir!«
Lächelnd kam Bruder Jakobus auf sie zu, die Hände wie zum Segen erhoben. Erst im letzten Moment erkannte Magdalena den Krummdolch in seiner rechten Hand.
»Ich werde dich nur ritzen, versprochen«, flüsterte er. »Wie deinen Vater. Du wirst schlafen wie der steinerne Ritter hinter dir.« Er täuschte eine Bewegung von oben an, um im letzten Moment den Stich von unten zu führen. Magdalena griff nach seiner Hand, aber der Mann war schneller. Die Klinge sauste auf sie zu. Es gelang ihr zwar ,den Oberkörper zur Seite zu drehen, doch sie spürte, wie ihr die Klinge in den Oberarm drang, den sie zum Schutz erhoben hatte.
»Was für eine göttliche Fügung, die dich hierher zu uns geführt hat«, murmelte Bruder Jakobus. »Ich kenne deinen Namen, Maria Magdalena. Du Hure Christi. Du bist viel zu kostbar, um dich dem Feuer zu übergeben. Ich habe Großes mit dir vor.«
In Magdalenas Körper breitete sich eine Starre aus. Als die Taubheit ihre Beine erreichte, rutschte sie an der Grabplatte herunter und blieb mit angstgeweiteten Augen am Boden liegen. Weit entfernt hörte sie Orgelspiel.
Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn, in Freuden und Leiden ihr Diener ich bin...
Drüben im Dom, nur wenige Meter entfernt, hatte die Messe begonnen.
10
F rüh am nächsten Morgen machten sich Simon und Benedikta zu Pferde auf nach Wessobrunn. Sie mieden die große Straße, die entlang des Lechs nach Norden führte und möglicherweise von Räubern beobachtet wurde. Stattdessen ritten sie über die Lechbrücke nach Peiting und dann direkt auf den Hohen Peißenberg zu, der wie ein Riese in der sonst flachen Landschaft über den Dörfern und Weilern der Gegend thronte. Nach dem Schneesturm der vergangenen Tage war die Luft klar und rein. Die Sonne stach so hell vom blauen Himmel, dass Simon die Augen schließen musste, wenn er zu lange auf die schneebedeckten Felder und Bäume sah.
Inder letzten Stunde hatte sich der Medicus häufig umgesehen. Immer wenn er und Benedikta eine der Rodungen verließen und ein weiteres Mal in die unendlichen Wälder rund um den Berg eintauchten, beschlich ihn das Gefühl, beobachtet zu werden. Es war wie ein Jucken zwischen den Schulterblättern, Simon erwartete jeden Moment, das Sirren einer Bogensehne oder das Rasseln eines Säbels zu hören. Doch immer wenn er hinter sich blickte, war da nichts außer undringlichem Tannendickicht. Gelegentlich schreckten sie einen Vogel auf, der krächzend davonflog; Schnee rieselte von den Ästen herunter, ansonsten herrschte Stille.
Der Sturm hatte an vielen Stellen die Bäume wie Schilfstengel umgeknickt. Vom Sattel aus ließ Simon seinen Blick schweifen über leergefegte Schneisen, die tief in den Waldhineinreichten. Nun, wenigstens würden die Bauern in diesem Winter nicht über einen Mangel an Brennholz zu klagen haben.
»Zieht nicht so ein mürrisches Gesicht!«, rief ihm Benedikta zu. »Das passt nicht zu Euren hübschen Augen. Wenn Räuber unterwegs sind, dann eher am Lech, nicht hier. Was gibt’s auf dieser Straße schon groß zu holen?«
Im Gegensatz zu Simon machte die Händlerin einen sorglosen Eindruck. Sie summte irgendein französisches Lied und trieb ihr Pferd auf den ausgedehnten Lichtungen zum Galopp an. Simon hatte Mühe, ihr zu folgen. Für ihren Ritt nach Wessobrunn hatte er sich wieder die alte Mähre des Henkers ausgeliehen. Walli schien sich ein wenig an ihn gewöhnt zu haben, doch noch immer blieb sie mitten im Trab stehen, wenn am Wegesrand etwas Grün unter der Schneedecke hervorlugte. Dann war sie selbst mit Tritten nicht dazu zu bewegen, weiterzulaufen. Gelegentlich schnappte sie auch nach Simon oder versuchte ihn abzuwerfen, doch der Medicus war fest entschlossen, dem Biest Manieren beizubringen. Gerade eben wieder
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