Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Fingernägel zu putzen. Dabei ließ er die Straße nicht aus den Augen.
Simons Faust umklammerte den Knüppel, so dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Er hatte Mühe zu schlucken. Ein Hinterhalt! Den Signalrufen nach zu urteilen, waren es mindestens drei Männer. Der Medicus ließ den Blick über die Büsche und Eiben schweifen, konnte aber keinen weiteren entdecken. Vermutlich hatten sie sich auf der anderen Seite der Straße versteckt. Simon richtete sich vorsichtig auf und sortierte seine Gedanken. Er musste Benedikta warnen und dann mit ihr so schnell wie möglich davonreiten! Sie konnten nur hoffen, dass die Wegelagerer keine Pferde hatten.
So leise wie möglich schlich Simon zurück durch das Eibendickicht. Das Knacken jedes noch so kleinen Zweigs kam ihm vor wie Donnerhall. Endlich hatte er den Wegrand erreicht. Als der Medicus mit Zweigen im Haar und vom Schnee nasser Hose aus dem Graben auftauchte, blickte Benedikta amüsiert auf ihn hinunter.
»Habt Ihr Euch ein Dachsloch als Abort ausgesucht? Wegen mir hättet Ihr auch im Graben bleiben können.« Dann bemerkte sie den besorgten Ausdruck in seinem Gesicht und wurde sofort wieder ernst.
»Was ist geschehen?«
Mit seinen Lippen formte Simon fast lautlose Worte. »Räuber«, zischte er. »Zu beiden Seiten der Straße. Wir müssen weg.«
Wieder war der Ruf eines Eichelhähers zu hören, ein zweiter folgte.
Benedikta zögerte kurz. »Habt keine Angst«, flüsterte sie schließlich. »Solange wir auf den Pferden sitzen und uns in Bewegung halten, können sie uns nichts anhaben.« Sie grinste und deutete auf ihre Rocktasche. »Vergesst nicht, ich bin nicht ganz unbewaffnet. Allez! «
Mit einem Satz galoppierte sie davon, und zu Simons großer Erleichterung folgte Walli dem anderen Pferd ohne großesZögern. Der Medicus glaubte noch, hinter den Bäumen eine Bewegung auszumachen. Er wartete auf das Krachen eines Schusses, das Pfeifen der Kugel, auf den Schmerz, wenn das Blei seine Schulter durchschlug, doch nichts passierte.
Offenbar hatten sie die Räuber abgehängt.
Wie war das möglich? Sollte er sich getäuscht haben? Er hatte mindestens damit gerechnet, dass sie ihnen mit Musketen oder Armbrüsten hinterherschießen würden. Doch für ausführliche Überlegungen blieb keine Zeit. Die Pferde rasten dahin, und das Lachen von Benedikta, die weit vor ihm bereits in ein neues Waldstück eintauchte, vertrieb auch seine trüben Gedanken. Vermutlich hatten die Wegelagerer einfach entschieden, auf einen größeren Fang zu warten.
Schon nach kurzer Zeit verließen sie den Eibenwald. Vor ihnen tat sich eine weite Rodung auf, zur Linken und Rechten der steil ansteigenden Straße war eine Reihe von Häusern zu sehen. Simon atmete erleichtert auf. Sie hatten das Dorf Gaispoint erreicht. Über ihnen auf einem Hügel ragte das Kloster Wessobrunn auf.
Als der Medicus sich umblickte, fiel ihm sofort der gute Zustand der Häuser auf; viele von ihnen waren aus Stein erbaut und hatten den Krieg offenbar ohne große Schäden überstanden. In Gaispoint hatten sich viele Stukkateure niedergelassen, die von der regen Bautätigkeit der umliegenden Kirchen und Klöster profitierten. Der Medicus hatte gehört, dass die Arbeit der Gaispointer Kunstgipser in Venedig, im fernen Florenz und sogar in Rom geschätzt wurden. Doch zurzeit waren die Stukkateure vor allem damit beschäftigt, das benachbarte Benediktinerkloster wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Auch wenn die Schweden das Dorf fast unberührt gelassen hatten, im Kloster selbst hatten sie geplündert und gebrandschatzt.
Als Simon und Benedikta über eine schmale Brücke auf den Pfarrhof zuritten, wirkte die Anlage im Licht der untergehendenSonne düster. Teile der Umfassungsmauer waren eingefallen, viele Nebengebäude hatten die marodierenden Soldaten offenbar niedergebrannt, Putz bröckelte von den Wänden der Kirche. Vom Dach des Brunnenhauses war nur noch das Balkengerüst übrig; krächzend erhoben sich Krähen von der dicken Eisschicht, die auf den Wasserbecken lag. Nur der bullige Glockenturm, der ein wenig abseits hinter der Pfarrkirche stand, schien die unruhigen Zeiten gut überstanden zu haben.
Als Benedikta an die schwere Tür des Haupthauses geklopft hatte, dauerte es eine Weile, bis ihnen jemand öffnete. Ein kahlköpfiger Mönch blickte ihnen durch den schmalen Türschlitz misstrauisch entgegen.
»Ja?«
Benedikta setzte ihr süßestes Lächeln auf. »Wir sind einen weiten Weg geritten,
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