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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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die manchmal nötig war, um die Rose Gottes von wucherndem Gestrüpp zu befreien.
    Die beiden Mönche gehörten einem Orden an, der sich als Elite der Christenheit fühlte. Seit Jahrhunderten kämpftendiese Brüder an vorderster Front gegen die Ausbreitung des Ketzertums. Sollten die anderen Mönche ruhig ihre Klostergärten bestellen und ihre Kirchen schmücken, sie waren für höhere Aufgaben bestimmt! Ihr dritter Mann war zurück nach Augsburg geritten, und nun warteten sie hier in der Kälte, um gemäß dem Auftrag die beiden Schnüffler nicht aus den Augen zu lassen. Sie waren die Hunde Gottes, und sie folgten unbeirrt ihrer Spur, auch wenn sie dafür Sturm und Schnee trotzen mussten.
    Sie merkten nicht, dass sie selbst beobachtet wurden.
     
    »Hier oben?« Simon blickte die schmale Stiege hinauf, die in den Speicher des Glockenturms führte. Durch das Treppenhaus pfiff der Wind und rüttelte an dem Holzgerüst, so dass der Medicus sich mehr als einmal krampfhaft am Geländer festhalten musste.
    »Eine Vorsichtsmaßnahme«, sagte der Abt und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er blieb kurz stehen, um wieder zu Atem zu kommen. »Während des Großen Krieges haben wir alle Bücher des Klosters auf den Dachboden des Turms geschafft. Dieser Ort ist im weiten Umkreis der sicherste, der Turm ist uralt und so massiv wie eine Burg.«
    Ächzend stieg er weiter, Simon und Benedikta folgten ihm. Im Schein der mitgebrachten Laterne blickte der Medicus auf meterdicke, unverputzte Mauern, die nur gelegentlich von schmalen Schießscharten unterbrochen wurden.
    Während des Essens hatte die Händlerin dem Abt Bernhard noch einmal von ihrem Wunsch erzählt, dass Wessobrunner Gebet sehen zu dürfen. Ihr aus Deutschland stammender Vater habe ihr in Paris immer wieder von dem ältesten Gebet in deutscher Sprache erzählt, von seiner schlichten und doch anrührenden Sprache. Als sie nun wegen einiger Geschäfte nach Augsburg reisen musste, habe sie beschlossen, einen Abstecher nach Wessobrunn zu machen und demKloster eine Summe zur Erhaltung seiner Bibliothek zu stiften. Mit der Aussicht auf den bevorstehenden Geldsegen war es ein Leichtes gewesen, den Abt dazu zu bewegen, ihnen noch in der Nacht das Gebet zu zeigen.
    Nach einigen weiteren Treppenwindungen in dem engen Glockenturm hatten sie endlich den Speicher erreicht. Eine Luke führte nach oben unter das Dach. Als Simon den Kopf durch die Öffnung steckte und die Laterne kreisen ließ, sah er Berge von Büchern, die in Stapeln und Kisten den gesamten Dachboden ausfüllten. Sie lagen zwischen Balken, Truhen und mottenzerfressenen Stoffbündeln.
    Mit einem leisen Aufschrei der Begeisterung stürmte der Medicus auf den erstbesten Haufen zu und begann zu blättern. Das Buch in seiner Hand war eine vergilbte Abschrift von Senecas De vita beata . Gleich daneben lag eine Ausgabe von Paracelsus’ Großer Wundarzeney, die mit detailgenauen Stichen und leuchtenden Anfangslettern versehen war. Simon wühlte sich durch den Stapel. Weiter unten fand er eine fenstergroße bebilderte Bibel und gleich darauf gebündelte Schriften von Aristoteles, die er das letzte Mal in der Ingolstädter Universität in den Händen gehalten hatte. Allerdings als billigen Druck und nicht wie hier handkopiert, mit schwungvollen, lateinischen Anmerkungen am Rand. Als der Medicus danach griff und die Schleife öffnete, wirbelte eine Wolke Staub auf. Er musste niesen, und das Licht der Laterne begann zu flackern.
    »Passt nur ja mit dem Feuer auf«, murmelte der Abt, der hinter ein paar hohen Kisten in einer Ecke des Raumes verschwunden war. »Eine falsche Bewegung, und die gesamte Kultur des Abendlands geht in Flammen auf!«
    Vorsichtig stellte Simon seine Laterne auf einem Bücherturm ab, ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder und tauchte ein in die Welt der Buchstaben. Er spürte weder die Kälte noch den Wind, der zwischen den losen Ziegeln hindurchpfiff.
    Es war Benedikta, die ihn an der Schulter rüttelte und aus seinen Träumen aufschreckte.
    »Vergesst die Bücher, wir haben keine Zeit!«, zischte sie. »Wenn wir den Schatz in Händen halten, könnt Ihr meinethalben diese ganzen Bücher kaufen und Euch damit für den Rest Eures Lebens einschließen. Aber jetzt kommt!«
    Der Abt hatte in der Zwischenzeit aus dem hinteren Teil des Dachbodens eine kleine Truhe hervorgeholt, die mit einem schweren Vorhängeschloss versehen war. Mit einem Schlüssel, den er unter seiner Kutte hervorkramte,

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