Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
muss, dann stirbst du. Hat dir dein Vater mal erzählt, wie lange das Ersticken dauert, wenn man lebendig begraben wird?«
Bruder Jakobus wartete die Antwort nicht ab, sondern kletterte, den Geräuschen nach zu urteilen, wieder vorne auf den Kutschbock. Ein Peitschenknallen, dann ging die Fahrt weiter.
Magdalena versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Der Mönch kannte sie und ihren Vater! Vermutlich war er der Mann mit dem Veilchenparfum, der sie die ganze Zeit über in Schongau und Altenstadt beobachtet hatte. Durch einen Zufall war sie ihm in Augsburg wieder über den Weg gelaufen. Er war offensichtlich hinter diesem Schatz aus der Lorenzkirche her, und so wie es aussah, waren noch weitaus mehr Menschen an diesem Plan beteiligt.
Magdalena durchfuhr ein Schauder. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie den Bischof unter den Maskierten erkannt hatte. Es sah ganz danach aus, als ob er der Anführer dieses wahnwitzigen Komplotts war. Der Bischof hatte von einer Bruderschaft geredet. Welchen Orden konnte er gemeint haben? Und welchem Schatz waren diese Männer auf derSpur? Was für ein Schatz war so mächtig, dass er gläubige und einflussreiche Christen zu unbarmherzigen Mördern werden ließ?
Magdalenas Überlegungen wurden unterbrochen, als der Schlitten plötzlich wieder anhielt. Stimmen waren zu hören, offenbar ein Wachposten.
»Wohin mit dem Sarg, Pfaffe? Wir brauchen keine Pesttoten in der Stadt!«
»Keine Sorge, mein Sohn. Ein Mitbruder ist im hohen Alter zu Gott gegangen. Ich bringe ihn in seine Heimatstadt.«
Kurz war Magdalena versucht zu schreien. Aber dann erinnerte sie sich, was der Mönch gesagt hatte.
Hat dir dein Vater mal erzählt, wie lange das Ersticken dauert, wenn man lebendig begraben wird?
Sie hielt still. Schließlich ließ sie der Posten passieren, und der Schlitten glitt weiter. Von draußen waren Schritte, Gelächter und vereinzelte Stimmen zu hören. Irgendjemand pries in schwäbischen Worten heiße Kastanien an. Wo war sie? Wo brachte der Mann sie hin? Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie unter der Wirkung des Gifts geschlafen hatte. Einen Tag? Zwei?
Ein weiteres Mal hielt der Schlitten an. Gedämpft war die Stimme von Bruder Jakobus zu hören. Er schien sich mit jemandem zu unterhalten, doch das Gespräch war zu leise, um etwas zu verstehen. Plötzlich begann die Kiste zu schaukeln, Magdalena wurde hochgehoben und offenbar eine Treppe nach unten getragen. Gefangen in ihrem Sarg, rutschte sie von einer Seite auf die andere.
»Vorsichtig, vorsichtig!«, mahnte Bruder Jakobus. »Habt doch Ehrfurcht vor den Toten!«
»Dort, wo dein Bruder ist, stört ihn das sicher nicht mehr«, erklang eine tiefe, dumpfe Stimme. Dann fiel der Sarg mit Krachen zu Boden, Magdalena unterdrückte einen Schmerzensschrei. Münzen wechselten klimpernd den Besitzer,schließlich tappten schwere Schritte nach oben. Es folgte Stille.
Magdalena wartete einen Moment, dann tastete sie nach den Latten über sich. Bruder Jakobus wollte offenbar rasten, vermutlich hatte er sich in irgendeiner Herberge einquartiert. Vielleicht gelang es ihr ja in der Zwischenzeit, die Bretter ein wenig zu lockern? Von ihrem Vater wusste sie, dass Särge oft nur sehr notdürftig zusammengenagelt wurden. Schließlich rechnete keiner damit, dass die Toten aus ihrer letzten Ruhestätte wieder herauswollten.
Gerade hatte sie mit beiden Händen gegen den Sargdeckel gedrückt, um die Festigkeit der Bretter zu prüfen, als ein reißendes Geräusch sie innehalten ließ. Jemand machte sich am Sarg zu schaffen! Kurze Zeit später fiel blendendes Licht durch einen Spalt im Deckel, ein Kopf mit Mönchstonsur tauchte direkt über ihr auf. Bruder Jakobus hatte die mittlere der Latten entfernt und leuchtete nun mit einer Fackel ins Innere. Sein Gesicht war nur eine Handbreit von ihrem entfernt; trotzdem konnte sie nicht danach greifen, da ihre Arme noch unter dem Deckel gefangen waren. Der Geruch von Veilchen stieg ihr in die Nase.
»Nun, Henkerstochter? «, fragte Bruder Jakobus und strich ihr fast mitleidig über die Wange. »Wie gefällt dir dein Bett? Lässt es dich denken an den Jüngsten Tag? Überkommt dich das Greinen und Zittern? Die Strafe des Herrn ereilt jeden früher oder später.«
Statt einer Antwort spuckte Magdalena ihm mitten ins Gesicht.
Der Mönch wischte sich den Speichel von der Wange, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Doch dann lächelte er.
»Liederliches Weib. Ihr Frauen habt die Sünde unter uns
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