Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
gingen, mussten in Schongau zwischengelagert werden. Auf jeden einzelnen Ballen erhob die Stadt eine saftige Steuer. Doch das Ballenhaus und auch der Zimmerstadel unten am Lech waren praktisch leer, der Schneesturm in den letzten Tagen hatte ein Übriges getan. Schongau blutete aus, und der Schreiber wusste nicht, wo er das Geld für längst fällige Ausgaben hernehmen sollte.
Johann Lechner seufzte. Der Rat hatte ihm heute Vormittag noch mal die Hölle heißgemacht. Die Patrizier achteten ihn, allerdings nur so lange, wie er ihre Schäfchen ins Trockene brachte. Nicht zum ersten Mal fragte sich Lechner, warum er sich das eigentlich antat. Die täglichen Auseinandersetzungen mit diesen fetten, aufgeblasenen Popanzen, die nichts anderes im Kopf hatten als ein gutes Glas Wein und ihre nächste Fuhre Salz oder Wolle, all der kleine Schreibkram, der täglich anfiel; die anstrengenden Kutschfahrten nach München und Augsburg. Die Stadt war ein Uhrwerk, das er täglich aufzog. Wäre er einmal nicht mehr, würde Schongau zu einem kleinen Provinznest erstarren, da war sich Lechner sicher.
Umso wichtiger war es, in den nächsten Tagen ein Exempel zu statuieren. Ein Exempel, das den Leuten zeigte, dass diese Stadt sich von keinem in die Suppe spucken ließ. Schongar nicht von einer Schar zerlumpter, dreckiger Wegelagerer und Halsabschneider.
Es klopfte an der Tür. Lechner zog einen dicken Strich unter die letzte Summe und schob seine Pelzkappe zurecht, dann bat er den Besucher mit lauter Stimme herein.
Jakob Kuisl musste sich bücken, um nicht am niedrigen Holm der Tür anzustoßen. Sein mächtiger Körper füllte den gesamten Rahmen aus.
»Ihr habt’s mich rufen lassen, Exzellenz?«
»Ah, Kuisl! «, sagte Johann Lechner und wies dem Henker einen Stuhl zu. »Wie merkwürdig, gerade hab ich an dich gedacht. Nun, wie war dein Ausflug mit Bürgermeister Semer?«
»Ihr wisst ...?«
»Natürlich weiß ich. Wir haben in der Ratsversammlung darüber gesprochen. Die anderen Herren sind nicht gerade erfreut, dass der Semer von dir eine Extrabehandlung bekommt. Nun macht er das große Geschäft, und der Rest schaut ins Ofenrohr. Oder seid ihr etwa überfallen worden?«
Jakob Kuisl schüttelte den Kopf. »Nein, kein Strauchdieb weit und breit. Wir haben allerdings auch keinem gesagt, welche Straße wir nehmen.«
Der Schreiber runzelte die Stirn. »Du glaubst also auch, dass im Rat jemand sitzt, der die anderen aushorcht und ihnen dann ein paar Schurken hinterherschickt?« Johann Lechner lächelte und spielte mit dem Gänsekiel. »Frei heraus, wen hast du im Verdacht? Den ehrgeizigen Schreevogl, einen der vier Bürgermeister oder etwa mich? Spannst du mich noch heute auf die Streckbank?«
Jakob Kuisl ging auf den Spott nicht ein. »Die Ratsversammlung ist der Ort, wo die hohen Herren ihre Geschäfte besprechen«, sagte er stattdessen. »Wer lauschen möchte, tut’s am besten dort. Also sind alle Patrizier gleichermaßen verdächtig.«
Der Schreiber drohte amüsiert mit dem Finger. »Die Ratsversammlung ein Mörderhaufen? Kuisl, Kuisl ... Behalt das lieber für dich. Es sind Scharfrichter schon für weit geringere Verdächtigungen am eigenen Galgen gelandet. Außerdem vergisst du den Augsburger Händler, diesen Weyer. Der war ja wohl nicht auf der Versammlung. Trotzdem liegt er jetzt unter der Erde.«
Jakob Kuisl zuckte mit den Schultern. »Es wird sich zeigen, wie das alles zusammenpasst. Der Semer jedenfalls hat mit keinem getratscht und ist nun wohlbehalten in Landsberg angekommen.«
»Es heißt, du hättest den Bürgermeister um einen Gefallen gebeten«, wechselte Johann Lechner abrupt das Thema. »Er soll für dich eine Erkundigung einholen.« Der Schreiber blickte gespielt entrüstet zur Decke auf. »Der Bürgermeister als Bote des Henkers, o tempora, o mores ! Wo soll das noch hinführen? Darf man erfahren, was so wichtig ist, dass du’s unbedingt wissen musst, Kuisl? «
»Nein.«
Der Schreiber hielt verdutzt inne. »Wie meinen?«
Jakob Kuisl zuckte mit den Schultern. »Das ist meine Sach. Ich lass es Euch wissen, wenn ich Nachricht bekomm.«
Johann Lechner schwieg einen Moment, dann nickte er. »Wie du meinst.«
Er räumte die Pergamente vor sich zur Seite und zog aus einem Seitenregal eine große Kladde hervor.
»Kommen wir nun zu dem, warum ich dich hergebeten habe.«
Er schlug das Heft auf und begann darin zu blättern, während er weitersprach. »Wir haben heute dem Scheller und seiner Bande den Prozess
Weitere Kostenlose Bücher