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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Fasziniert sah Simon zu, wie Jakob Kuisl ganz allein eine Platte stemmte, die vor langer Zeit vermutlich von einer ganzen Reihe Männer auf ihren Platz geschoben worden war.
    Und sicher hatten sie auch noch Werkzeug und Seile dafür gebraucht...
    Immer wieder erstaunte ihn die gewaltige Kraft des Henkers. Ein weiteres Mal bewegte sich die Platte unter leisem Knirschen. Ein handbreiter Spalt tat sich auf.
    »Halt hier nicht Maulaffen feil!«, fluchte Kuisl unter Keuchen. »Hilf mir lieber!«
    Simon schob mit, auch wenn er sich sicher war, dass er keine allzu große Hilfe darstellte. Nach einigen Minuten hatten sie die Platte um gut einen halben Meter nach hinten geschoben. Kuisl hielt schnaufend inne und leuchtete mit seinem Kerzenleuchter ins Innere. Muffiger Gestank drang aus dem Sarg hervor, ein Totenschädel grinste ihnen entgegen. Bleiche Knochen lagen zwischen Staub und rostigen Teilen einer Rüstung. Der Henker griff sich einen Knochen und hielt ihn ans Licht. Simon erkannte aus seinen wenigen anatomischen Studien an der Ingolstädter Universität, dass es ein menschlicher Oberarmknochen war. Aber was für einer!
    »Bei meiner Seel«, flüsterte Kuisl. »Einen solch gewaltigen Knochen hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Das muss ein Mordstrumm von einem Mann gewesen sein ...«
    Simon musste schlucken, als er sich vorstellte, wie der Arm eines solchen Ritters ein Breitschwert so groß wie das auf dem Relief führte.
    »Das Schwert«, flüsterte er dem Henker zu. Plötzlich fand er Gefallen an dem Gedanken, das Grab eines mysteriösen Kriegers zu durchwühlen. Er musste an die Balladen über Artus und die Ritter der Tafelrunde denken, die er in der Universität viel lieber gelesen hatte als das ewig gleiche Geleier über die vier verschiedenen Körpersäfte. »Seht nach, ob das Schwert auch in dem Sarg ist!«
    Jakob Kuisl nickte und wühlte weiter im Inneren des Sarkophags. Er zog Rüstungsteile hervor, rostige Fetzen eines Kettenhemds, braune, vertrocknete Lumpen und schließlich einen Oberschenkelknochen, groß wie ein Knüppel.
    Nur ein Schwert war nicht dabei.
    Der Henker wollte schon aufgeben, als seine Hände plötzlich an etwas Kaltes, Glattes stießen. Vorsichtig zog er es hervor. Es war eine dünne Marmorplatte von der Größe eines Buches. Gemeinsam blickten sie auf eine gemeißelte Inschrift, bei der jeder einzelne Buchstabe mit Blattgold ausgemalt war. Die Inschrift war ebenso wie die Schrift auf dem Steinblock in Lateinisch gehalten. Simon übersetzte laut.
    Und ich will meinen zwei Zeugen auftragen, dass sie sollen weissagen. Und wenn sie ihr Zeugnis geendet haben, wird das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt, sie bekämpfen, besiegen und töten.
    »Was für ein wirres Geraune«, schimpfte Kuisl. »Wer soll daraus schlau werden!«
    »Ich muss zugeben, dass ich damit auch nichts anfangen kann«, sagte Simon und drehte die Marmorplatte in den Händen. »Aber es scheint wichtig zu sein. Sonst wäre die hier nicht im Sarkophag gelegen. Kein Schwert, nur diese Platte ...«
    Seine Gedanken wurden jäh gestört, als aus dem benachbarten Raum Schritte zu hören waren. Jemand kam die Treppe nach unten! Von einer plötzlichen Angst ergriffen, tastete Simon nach dem am Boden liegenden Oberschenkelknochen und hielt ihn wie einen Prügel vor sich. Der Henker neben ihm umklammerte den silbernen Kerzenleuchter fester mit seiner rechten Hand. Beide warteten sie darauf, dass die Schritte näher kamen. Schließlich tauchte ein Gesicht im Portal auf. Ein ausnehmend hübsches Gesicht.
    Es war Magdalena, dicht gefolgt von einer weiteren Frau mit roten Haaren und blassem Gesicht. Beide hielten jeweils eine der Opferkerzen in der Hand und blickten weniger verängstigt als erstaunt auf die beiden Männer vor ihnen.
    »Was um alles in der Welt machst du hier, Simon?«, fragte Magdalena. »Und was um Gottes willen hast du mit dem Knochen in deiner Hand vor?«
    Verlegen legte Simon den Knochen zurück in den Sarg. »Das ist eine lange Geschichte«, begann er. »Lasst uns am besten nach oben gehen.«
     
    Oben vor dem Eingang der Lorenzkirche kauerte hinter einem der schiefen, schneebedeckten Grabsteine eine schwarze Gestalt und fluchte leise. Er war zu spät gekommen! Der fette Schwarzkittel hatte offenbar bereits geplaudert. Anders war nicht zu erklären, wie dieser Quacksalber so schnell die Krypta hatte finden können. Und jetzt wussten auch noch zwei Weibsbilder und dieser große, breitschultrige Kerl von dem

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