Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Händlerswitwe musterte. Noch einmal fiel ihm ihr zartgeschnittenes Antlitz auf, in das sich bereits die ersten Falten des Alters gegraben hatten. Ihr Mund hatte etwas Sprödes, Hartes; diese Frau war es gewohnt, Befehle zu geben. Ihre Augen dagegen versprühten einen fast kindlichen Charme. Die Kleidung entsprach vom Schnitt her der französischen Mode. Benediktas gesamte Erscheinung strahlte noblesse aus. Etwas, das Simon in Schongau allzu oft vermisste.
Er richtete sich auf. »Ich nehme an, dass Ihr Euren Bruder jetzt gerne noch einmal sehen wollt«, sagte er. Die Händlerin nickte. Sie straffte sich und steckte ihr rotes Haar zu einem Dutt hoch. Schließlich folgte sie dem Medicus nach draußen.
» Évidemment «, flüsterte sie, während sie in ihrem weitgeschnittenen Kleid an Simon vorüberrauschte.
Der Medicus war entzückt. Die vornehme Dame aus Landsberg kleidete sich nicht nur französisch, sie verstand auch französisch zu parlieren! Was für ein außergewöhnliches Frauenzimmer!
Magdalena eilte ihnen nach. Wenn Simon sich umgesehen hätte, wäre ihm der düstere Ausdruck auf ihrem Gesicht aufgefallen. Doch der Medicus war in Gedanken noch ganz bei der eleganten, weltgewandten Fremden.
Nach einer guten Stunde machten sie sich zu dritt auf den Weg zurück nach Schongau. Sie hatten die Leiche Koppmeyers im Gebeinhaus neben der Kirche aufgebahrt und seine Schwester eine Weile mit ihm allein gelassen. Als Benedikta Koppmeyer das Gebeinhaus wieder verließ, machte sie einen immer noch blassen, aber gefassten Eindruck.
Jakob Kuisl blieb verschwunden, was Simon nicht weiterverwunderte. Mit der schroffen, manchmal beleidigenden Art des Henkers hatten viele Menschen ihre Probleme, doch Simon kannte ihn mittlerweile gut genug, um darüber hinwegzusehen. Er vermutete, dass man einfach kein Menschenfreund sein konnte, wenn man in seinem Leben Dutzende Verbrecher gehängt, geköpft und gevierteilt hatte. Simon konnte sich noch gut an die letzte Hinrichtung vor knapp einem Jahr erinnern. Einer der Söldner, der damals für die bestialischen Kindermorde in Schongau verantwortlich gewesen war, hatte sein Ende auf dem Rad gefunden. Jakob Kuisl hatte ihm sämtliche Glieder gebrochen und ihn erst zwei Tage später mit dem Würgeeisen stranguliert. Während der ganzen Prozedur, während all dem Schreien, Kreischen und Weinen war Kuisl nicht eine Gefühlsregung anzumerken gewesen. Kein Augenzucken, kein Zittern, nichts.
Schweigend gingen sie nebeneinanderher. Simon sah zu Benedikta Koppmeyer hinüber, die ihr Pferd am Zügel durch den tiefen Schnee führte. Sie schien in Gedanken versunken, die Trauer über ihren toten Bruder hielt sie offenbar ganz gefangen. Simon wagte nicht, sie anzusprechen. Auch Magdalena schwieg, den Blick starr geradeaus auf die Straße gerichtet. Ein paarmal versuchte Simon sie aufzumuntern, doch sie antwortete ihm nur mürrisch und einsilbig, bis er die Lust daran verlor. Was hatte sie nur? Hatte er ihr etwas getan? Er liebte dieses Mädchen, auch wenn er wusste, dass eine Ehe mit der ehrlosen Henkerstochter ausgeschlossen war. Sein Vater versuchte immer wieder, ihn zu überzeugen, doch lieber einer reichen Schongauer Bürgerstochter Avancen zu machen. Simon war bei den Frauen des Ortes beliebt. Er kleidete sich nach der neuesten Mode, achtete auf ein gepflegtes Äußeres und hatte immer ein charmantes Kompliment auf den Lippen. Dass er mit fünf Fuß eher zu den kleineren Männern zählte, sahen ihm die Damen nach. Mit der einen oder anderen hatte er sich schon in den umliegenden Scheunen vergnügt, doch seit er Magdalenakannte, war das anders geworden. Diese Frau mit ihrem Temperament, aber auch mit ihrer Bildung und ihrem Wissen um heilende und giftige Kräuter faszinierte ihn. Selbst wenn Magdalenas Sturköpfigkeit und ihre gelegentlichen Zornanfälle die viel zu seltenen Schäferstündchen nicht eben einfach machten.
Auf der anderen Seite, welche Frau war schon einfach?
Nur kurze Zeit später wurden die Tannen lichter. Felder breiteten sich aus, dahinter war der Lech als grünes Band im Schnee zu erkennen. Vor einem winterklaren Himmel erhob sich auf einem Hügel die Stadt Schongau mit ihren Türmen und Mauern. Simon war erleichtert, als sie das Stadttor mit den zwei schläfrigen Bütteln passierten. Benedikta neben ihm wirkte mittlerweile mehr als erschöpft. Sie hatte beschlossen, sich im Gasthaus »Zum Goldenen Stern« einzuquartieren, bis der Tod ihres Bruders geklärt war. Der
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