Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
von beiden bemerkte die zwei Gestalten, die sich zwischen den anderen Mönchen verborgen hatten. Wie lange Schatten glitten sie nun aus der Gruppe hervor und nahmen wieder ihre Spur auf.
In seiner Zelle in der Schongauer Fronfeste drehte der Räuberhauptmann Scheller die Giftpille zwischen den Fingern und schaute auf das Schneetreiben vor seinem vergitterten Fenster. Hinter ihm dösten manche seiner Kumpane bereits ihrem Tod entgegen, die Weiber greinten, Väter verabschiedeten sich flüsternd von ihren Kindern. Sie erzählten ihnen von einem Paradies, das auch Räubern und Huren offenstand und wo sie sich alle wieder begegnen würden. Sie sprachen von einem besseren Leben in einer anderen Welt und ließen den zehnjährigen kranken Knaben beim lieben Herrgott und der Jungfrau Maria schwören, ein anständiges Leben zu führen. Sie hatten geraubt und getötet, doch jetzt wurden die meisten von ihnen zu reuigen Sündern. Einigebeteten. Morgen würde der Stadtpfarrer kommen und ihnen die letzte Beichte abnehmen.
Hans Scheller starrte die kleine Kugel an und dachte zurück an sein bisheriges Leben. Wie hatte es nur so weit kommen können? Er war ein Zimmermann in Schwabmünchen gewesen, er hatte ein Weib und ein Kind gehabt. Als kleiner Bub hatte er der Hinrichtung des berüchtigten Frauenmörders Benedikt Lanzl beigewohnt, der unter den Hieben des Henkers zwei Tage lang geschrien hatte. Geflochten auf ein Rad, war der Straßenräuber und Brandstifter der Mittelpunkt eines Spektakels gewesen, wie es der kleine Hans bisher noch nie gesehen hatte. Das Schreien dieses Benedikt Lanzl hatte den Knaben noch bis in den Schlaf verfolgt.
Manchmal hörte Hans Scheller es heute noch.
Niemals hätte er gedacht, dass auch er einst dort oben auf dem Holzpodest stehen würde. Aber Gottes Wege waren unergründlich.
Hans Scheller seufzte, schloss die Augen und ließ die Erinnerungen in sich hineinströmen. Ein lachender, mit Brei verschmierter Kindermund... Sein Weib gebückt über dem Waschtrog... Ein Gerstenfeld im Sommer, ein gutes Glas Bier... Der Geruch von frisch geschnittenem Fichtenholz...
Es war viel Schönes dabei gewesen, er konnte mit leichtem Herzen gehen. Aber er war dem Henker noch einen Gefallen schuldig.
Gestern Nacht war ihm etwas eingefallen, eine Winzigkeit, die er früher nicht weiter beachtet hatte. Aber jetzt, nach all dem, was Jakob Kuisl ihm erzählt hatte, erschien es ihm plötzlich wichtig.
Er würde es dem Henker morgen auf dem Schafott erzählen.
Hans Scheller lehnte sich an die eiskalte Wand der Zelle, drehte die kleine Pille zwischen den Fingern und pfiff ein altes Kinderlied. Er war schon fast zu Hause.
Er hieß Bruder Nathanael. Diesen Namen hatte ihm vor langer Zeit der Orden gegeben, seinen richtigen Namen hatte er irgendwann vergessen. Dort, wo er herkam, brannte die Sonne heiß vom Himmel herab, eine flirrende, nie enden wollende Hitze, und so erschien ihm der Schnee, der nun in weichen Flocken zur Erde fiel, wie ein persönlicher Abgesandter der Hölle.
Unter seiner dünnen Tunika und dem schwarzen Kapuzenmantel fröstelte er. Nathanael biss die Zähne zusammen, doch er klagte nicht. Sein früherer Meister hatte ihn ausgebildet, hart zu sein. Er war ein Hund des Herrn, und sein Befehl lautete, der Frau und dem Mann zu folgen. Sollten die beiden den Schatz finden, dann würde er sie schnell und lautlos töten, den Schatz bergen und der Bruderschaft Bericht erstatten. So lautete sein Auftrag.
Zitternd vor Kälte, spielte er mit dem Dolch in seiner Hand und drückte sich an die mit Frost überzogene Klostermauer. Schneeflocken schmolzen auf seinem braungebrannten, vernarbten Gesicht. Er war in Kastilien geboren, nahe der prächtigen Stadt Salamanca; der jetzige Auftrag erschien ihm wie eine Prüfung Gottes. Der Herr selbst hatte ihn in diese unwirtliche, abgelegene Gegend geschickt, und er hatte ihn zusätzlich mit Bruder Avenarius gestraft.
Der feiste, kleingewachsene Schwabe, der neben ihm an der Mauer seine Gebete murmelte, war ihm und Bruder Jakobus in Augsburg vom Meister persönlich zur Seite gestellt worden. Bruder Avenarius kannte sich in der Schrift aus wie kein Zweiter, er wusste alles über den Schatz, er war der Rätsellöser , aber als Kampfgefährte war er ungefähr so brauchbar wie ein altes Weib. Gerade jetzt fing er zum wiederholten Mal zu jammern an.
»Jesusmaria! Warum können wir nicht zurück in unser Quartier?« Avenarius sprach breitestes Schwäbisch, das
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