Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
schönsten Klöster Bayerns stehen.
»Euer Gnaden?« Benedikta ging auf die Gruppe zu und machte vor dem Propst einen Knicks. Wie so viele Mönche schien Bruder Michael dem weiblichen Geschlecht nicht unbedingt abgeneigt zu sein. Er stutzte, dann machte er eine leichte Verbeugung und reichte Benedikta seine mit dem Siegelring des Klosters geschmückte Hand.
»Meine Verehrung, schöne Dame. Wie kann ich Euch dienen?«
Die Handwerker und Architekten packten enttäuscht ihre Pläne weg, während Benedikta den Siegelring küsste. Simon sprang ihr zur Seite und zog seinen Hut; sie spielten das gleiche Stück, das schon in Wessobrunn Erfolg gehabt hatte.
»Erlaubt mir, die Dame vorzustellen. Vor Euch steht keine Geringere als Madame de Bouillon, die Hofschneiderin der Mätresse des französischen Königs«, erklärte derMedicus. »Sie ist den weiten Weg von Paris gereist, um in Rottenbuch die berühmten Reliquien der Heiligen Primus und Felicianus zu sehen.« Simons Stimme ging in ein Flüstern über, er beugte sich zum Propst vor. »Sie hat ein Gelübde abgelegt, nicht eher wieder das Bett mit ihrem Mann zu teilen, bis sie die Gebeine der Märtyrer geküsst hat.«
Benedikta sah ihn verdutzt von der Seite an, doch Simons Blick blieb ernst.
»Der arme Ehemann«, seufzte Bruder Michael. »Was für eine Verschwendung! Darf ich fragen, warum sich die Dame genau diese beiden Heiligen für ihre weite Pilgerfahrt erwählt hat?«
»Sie hat ihren neugeborenen Zwillingen die Namen Primus und Felicianus gegeben«, erläuterte Simon mit fester Stimme. »Doch sie sind schwer erkrankt, und nun erhofft sie sich durch die Pilgerfahrt, von unserer lieben Jungfrau Maria erhört zu werden.«
»Zügelt euch, verdammt!«, flüsterte ihm Benedikta ins Ohr. »Ihr tragt zu dick auf. Das glaubt uns doch kein Mensch!«
Doch der Propst nickte mitfühlend. »Was für ein Unglück! Ich werde Euch persönlich zu den Reliquien begleiten. Folgt mir!«
Simon grinste Benedikta verstohlen an, dann folgten sie Bruder Michael, der schnaufend mit kleinen Schritten auf die Kirche zusteuerte. Dabei deutete er auf die Handwerker, die auf Baugerüsten balancierten und gerade die alten, zerbrochenen Kirchenfenster gegen neue, bunte Gläser auswechselten.
»Dieses Kloster wird in ein paar Jahren ein Juwel in Bayern sein, glaubt mir!«, rief der Propst nach hinten. »Eine Pilgerstätte ohnegleichen! Wir beherbergen hier nicht nur die Reliquien des heiligen Primus und des heiligen Felicianus, sondern auch zwei Zähne der heiligen Binosa, einige Haare der Jungfrau Maria, ein Fingerknöchelchen des heiligen Blasius,den Schädel des heiligen Laurentius sowie ein Schlüsselbein der heiligen Brigida, um nur die wichtigsten zu nennen.«
Er öffnete die Türe zur Kirche, und Simon erblickte eine Pracht, die für die einfachen Menschen der Gegend wie der Himmel auf Erden sein musste. Leuchtende Malereien von Engeln und Heiligen ließen die Decke unendlich hoch erscheinen, marmorne Grabplatten zeugten von früheren Rottenbucher Pröpsten; eine gewaltige Orgel mit mannshohen Orgelpfeifen thronte über dem Portal. An der gegenüberliegenden Ostwand befand sich ein Hochaltar, der gewiss vier Schritt in die Höhe reichte. In der Mitte war die Himmelfahrt Mariens dargestellt, flankiert von den Aposteln Petrus und Paulus. Daneben standen aufrecht in gläsernen Särgen zwei Skelette. Jedes der Gerippe hatte ein Schwert in der Hand und einen Lorbeerkranz auf dem kahlen Schädel.
»Die Heiligen Primus und Felicianus ... «, hauchte Bruder Michael und deutete auf die Skelette. »Sind sie nicht wunderschön? Wir haben sie zum Zeitpunkt der Einweihung unseres neuen Altars an diese Stelle gebracht. Schützend und wohlwollend blicken sie auf uns herab!« Er wandte sich ab. »Ich lasse Euch jetzt mit den Reliquien alleine.«
»Äh, verzeiht«, flüsterte Simon. »Aber Madame de Bouillon hat versprochen, dass sie die Gebeine der Heiligen küsst.«
»Küsst?« Der Propst sah ihn entgeistert an.
» Ah oui ! «, mischte sich Benedikta mit französischem Zungenschlag ein. »Ich muss mit den Lippen ihre heiligen Knochen, wie sagt man ... em brasser ... küssen! Nur dann ist das Gelübde erfüllt.«
»Ich bin untröstlich, Madam, aber das ist unmöglich.« Der Propst deutete zum Hochaltar. »Ihr seht selbst, die Gebeine befinden sich dort oben, außerhalb unserer Reichweite. Außerdem sind die Särge verschlossen. Schickt einen Kuss mit Eurer Hand hinauf. Ich bin sicher, Gott wird
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