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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Simon mit baumelnden Beinen in der Fensteröffnung und beobachtete, wie Benedikta ein Seil an einer der Querstreben befestigte und sich nach unten in die Kirche hangelte. Der Medicus schlug ein Kreuz und tat es ihr nach. Schon bald berührten seine Füße den kalten Steinboden, und er konnte sich umsehen.
    Obwohl die Kirchentüren über Nacht verschlossen waren,hatten die Mönche einige der Altar- und Opferkerzen brennen lassen. Ihr flackerndes Licht verlieh dem Raum etwas Gespenstisches. Vom Hochaltar starrten die Skelette der Heiligen Primus und Felicianus in ihren gläsernen Särgen auf die beiden Eindringlinge herunter, in der Hand das Schwert und den Lorbeerkranz auf dem nackten Schädel.
    Jetzt in der Nacht ging keine Heiligkeit mehr von ihnen aus, nichts Salbungsvolles, Beschützendes. Simon hatte eher das Gefühl, dass die Gerippe jeden Moment heruntersteigen könnten, um die Kirchenfrevler mit ihren dünnen Knochenfingern zu erdrosseln. Aber sie blieben dort oben stehen, die entblößten Zähne zu einem Grinsen eingefroren, die Augenhöhlen schwarz und tot.
    »Welcher von beiden ist es wohl?«
    »Was?«
    Simon war so in den grauenvollen Anblick versunken gewesen, dass er Benedikta zunächst nicht gehört hatte.
    »Ich meine, in welchem der Heiligen könnte eine Botschaft versteckt sein?«, hakte Benedikta nach. »Wir werden vielleicht keine Zeit haben, beide Särge zu öffnen.«
    »In welchem ... ? « Simon dachte nach. »Wir nehmen Felicianus«, sagte er schließlich. »Er ist der Glückliche . Glücklich ist auch der Finder des Schatzes. Und außerdem, heißt es bei Matthäus nicht: Die Ersten, also primi, werden die Letzten sein?«
    Benedikta sah ihn skeptisch an. »Euer Wort in Gottes Ohr.«
    Sie näherten sich dem Hochaltar, bis sie direkt unter dem Sarg des Felicianus standen.
    »Wenn Ihr mich auf die Schultern nehmt, kann ich den Sarg vielleicht erreichen«, sagte Benedikta. »Ich werde dann versuchen, ihn vorsichtig herunterzuheben.«
    »Aber er ist viel zu schwer«, flüsterte Simon. »Ihr werdet ihn sicher fallen lassen!«
    »Ach was, er ist schließlich nur aus Glas. Und das Gerippedarin wiegt so viel, wie ein paar alte staubige Knochen eben wiegen.«
    »Und wenn er doch herunterfällt?«
    Benedikta grinste. »Dann werden wir den alten Felicianus eben wieder zusammensetzen müssen. Ihr seid doch der Mediziner!«
    Seufzend kniete sich Simon nieder, so dass die Händlerin auf seine Schultern klettern konnte, dann hob er sie unter einigem Schwanken in die Höhe. Als der Medicus Benediktas Schenkel an seinen Wangen spürte, durchströmte ihn ein angenehmes Kribbeln.
    Na wunderbar, dachte er. Wir entweihen die Gebeine eines Heiligen, und ich träume gleichzeitig von nackten Frauenschenkeln. Zwei Todsünden auf einmal …
    Endlich konnte Benedikta den Sarg mit beiden Händen umklammern. Sie reichte gerade an den unteren Rand der gläsernen Kiste heran.
    »Lasst mich jetzt runter«, flüsterte sie. »Aber langsam!«
    Simon ging Stück für Stück in die Knie, während Benedikta den wertvollen Behälter weiterhin festhielt; der Sarg wankte hin und her, schabte am Sockel des Hochaltars entlang, bis er schließlich den Boden berührte. Leichtfüßig sprang Benedikta von Simons schmerzenden Schultern.
    »Und jetzt öffnen wir ihn.«
    Die Händlerin legte den Sarg vorsichtig auf den Boden und untersuchte den Deckel. Die Glasränder waren mit einer Goldlegierung verlötet. Sie zückte ihr Messer und begann, die Naht fein säuberlich zu lösen.
    »Benedikta«, rief Simon mit heiserer Stimme. »Seid Ihr sicher, dass wir das wirklich tun sollten? Wenn man uns erwischt, dann droht uns ein Prozess – dagegen ist das Rädern vom Scheller der reinste Osterspaziergang!«
    Benedikta sah nur kurz von ihrer Arbeit hoch. »Ich bin nicht den ganzen Weg bis hierher gekommen, um jetzt aufzugeben. Also helft mir schon!«
    Simon nahm sein Chirurgenstilett, das er immer bei sich führte, und trieb es in den verlöteten Schlitz. Zentimeter für Zentimeter trennte er die Naht auf. Die Legierung war weich und brüchig, so dass sie schon nach kurzer Zeit den Deckel öffnen konnten.
    »Heiliger Felicianus, verzeihe uns! «, murmelte Simon, obwohl er nicht glaubte, dass sein Gebet im Himmel auf großes Verständnis stoßen würde. »Wir tun es nur zum Wohle der Kirche!«
    Aus dem geöffneten Sarg stieg ihnen ein muffiger Geruch entgegen. Angewidert blickte Simon auf die teilweise schon grünlich verfärbten, modrigen Gebeine. Die

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