Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Euer selbstbewusstes, bürgerliches Auftreten noch einmal dringend brauche! Der Rottenbucher Propst wird sich von einem kleinen Feldscher vermutlich wenig sagen lassen. Aber von Euch …«
»Rottenbuch? «, warf Benedikta neugierig ein. »Das Rätsel führt nach Rottenbuch?«
Simon seufzte. Ohne es zu merken, hatte er bereits eine Entscheidung getroffen. »Lasst uns im Semer-Wirtshaus in eines der ruhigen Nebenzimmer gehen«, sagte er. »Dort werde ich Euch alles Weitere erklären. Wir sollten noch heute aufbrechen.«
Benedikta lächelte und blickte auf den Medicus hinab, der versuchte, ihrem nervösen Pferd auszuweichen.
»Also gut«, sagte sie schließlich. »Ich bleibe. Aber diesmal leihen wir uns für Euch ein Pferd aus, hier in der Poststation. Ein gehorsames und schnelles. Es kann ja sein, dass wir vor irgendwelchen Räubern fliehen müssen, nicht wahr?«
Das Rottenbucher Kloster befand sich nur zehn Meilen von Schongau entfernt und war zu Pferde in weniger als zwei Stunden zu erreichen.
Benedikta ritt so schnell und anmutig, dass Simon Mühe hatte, hinterherzukommen und dabei nicht aus dem Sattel zu fallen. Die verschneiten Bäume rasten nur so an ihnen vorbei. Im leichten Schneegestöber musste Simon oft blinzeln oder kurz die Augen schließen. Dann überließ er dem Pferd ganz die Führung, es schien besser als er zu wissen, wohin die Reise ging.
Sie hatten sich in der Poststation des Semer-Wirts für ein paar Silberpfennige einen jungen Schimmel ausgeliehen. Benedikta hatte gezahlt, und es war Simon ein wenig peinlich gewesen, als sie ihre Börse zückte und dem Postmeister die Münzen in die Hand drückte. Nun musste der Medicus unwillkürlichgrinsen. Diese Frau ließ sich von einem Mann nichts befehlen, und sie nahm auch nichts von einem Mann. In diesen Punkten, dachte Simon, glichen sich Benedikta und Magdalena aufs Haar. Vielleicht waren sie ja doch nicht so verschieden. Vielleicht hätte aus Magdalena unter anderen Umständen auch eine Benedikta werden können.
Nach nicht einmal zwei Stunden hatten sie ihr Ziel erreicht. Der Wald tat sich auf, und vor ihnen erstreckte sich eine weite, schneebedeckte Fläche, auf der sich Häuser, Kirchen, Mauern und Torbögen als bunte Punkte hervorhoben. Im Umkreis von einer Meile hatte der Mensch der umliegenden Wildnis ein Stück Land abgetrotzt, in dessen Mittelpunkt sich das Rottenbucher Kloster erhob. Auf einer Straße, die aus den gegenüberliegenden Wäldern kam, erblickte Simon eine Gruppe schweigender Mönche, die einem jammernden Bettler ein Almosen gaben. Ein Bauer mit einem Kälbchen an der Leine überquerte die gepflasterte Hauptgasse. An vielen der noch unverputzten Gebäude lehnten Leitern und Baugerüste; Handwerker mit Eimern, Schaufeln und Kellen hasteten an ihnen vorbei. Ebenso wie in Steingaden waren die Menschen hier offenbar damit beschäftigt, die Trümmer des Krieges beiseitezuschaffen und ein neues, größeres, noch schöneres Kloster zu bauen.
Simon und Benedikta ritten durch einen Torbogen auf den weitläufigen Vorplatz des Augustinerchorherrenstifts. Ein gewaltiger Glockenturm ragte vor ihnen empor, links befand sich die Kirche, daneben das Klostergebäude, das im Gegensatz zu den anderen Häusern bereits in frischem Putz erstrahlte. Nachdem sie ein Quartier gefunden und die Pferde im angrenzenden Stall abgestellt hatten, machten sie sich auf die Suche nach dem Propst.
Simon setzte eine wichtige Miene auf und wendete sich an einen der Chorherren, die gerade auf dem Weg in die Kirche waren.
»Bruder, auf ein Wort! Wir suchen den ehrwürdigen Vorsteherdieses wunderschönen Klosters. Könnt Ihr uns weiterhelfen?«
»Unseren hochwürdigsten Bruder, Propst Michael Piscator? Da habt Ihr Glück.«
Der Mönch zeigte auf einen älteren, etwas dicklichen Mann in der typischen weißen Albe der Augustinerchorherren, der nur unweit zwischen einigen Handwerkern stand. Offenbar war er damit beschäftigt, den Baumeistern die heutigen Aufgaben mitzuteilen. »Ihr findet ihn wie so oft bei seiner Lieblingsbeschäftigung«, sagte der Chorherr und zwinkerte. »Dem Kirchenbau. Für ihn die höchste Form der Anbetung Gottes.« Grinsend verschwand er unter dem Klosterportal.
Simon musste an den Steingadener Abt Augustin Bonenmayr denken, der sich ebenso wie der Rottenbucher Propst offenbar ganz dem Neubau seines Klosters verschrieben hatte. Wenn die Kirchenoberen so weitermachten, würden im Pfaffenwinkel, da war sich Simon sicher, bald die
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