Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
an seinem Gewand, in seinen Haaren, auch in seinem Gesicht hingen kleine Splitter. Blut tropfte in den weißen Schnee.
Jetzt erst sah er sich um. War Benedikta ihm gefolgt? Tatsächlich tauchte ihr Kopf jetzt in der zerborstenen Fensteröffnung auf. Wie eine Katze sprang sie hindurch, rollte sich ab und richtete sich sofort wieder auf. Mit einer gewissen Befriedigung sah Simon, dass nun auch die Händlerin Zeichen von Angst zeigte.
»Schnell, lasst uns zur Herberge laufen!«, rief sie. »Dort sind wir vorläufig in Sicherheit!«
Sie eilten über den Vorplatz, an dem vereisten Brunnen, dem Glockenturm und dem Klostergarten vorbei, durchquerten das offenstehende Eingangsportal und erreichten schließlich ihr Nachtquartier.
Nach dem dritten Klopfen öffnete ihnen ein verschlafener Wirt.
»Was um alles in der Welt ... ? «, fragte er verdutzt.
»Eine Keilerei auf der Straße.« Simon drückte sich mit seinem gewaltigen Breitschwert an dem beleibten Mann vorbei. Feine Blutfäden rannen über das Gesicht des Medicus, er sah aus wie ein etwas zu klein geratener, aber sehr zorniger Kneipenschläger. »Nicht einmal auf dem Klostergeländeist man sicher. Gut, dass ich immer eine Waffe bei mir führe.«
Ohne ein weiteres Wort eilte er mit Benedikta nach oben in sein Zimmer und ließ den verblüfften Wirt stehen. Erst als Simon die Tür hinter ihnen verriegelt und einen prüfenden Blick durch das Fenster geworfen hatte, fühlte er sich sicher. Keuchend ließ er sich aufs Bett sinken.
»Was oder wer um alles in der Welt war das?«
Benedikta setzte sich neben ihn. »Ich... ich weiß es nicht. Aber demnächst werde ich mit meinem Spott über mögliche Wegelagerer ein wenig vorsichtiger sein. Versprochen.«
Simon fing an, sich die winzigen Glassplitter aus dem Gesicht zu entfernen. Benedikta zog ihr weißes Taschentuch hervor und tupfte die Wunden ab.
»Ihr seht aus wie …«
»Wie jemand, der betrunken durch ein Wirtshausfenster gefallen ist. Danke, ich weiß.« Simon stand auf und griff nach dem Breitschwert, das neben dem Bett lehnte. »Auf alle Fälle ist es gut, dass wir das Schwert mitnehmen konnten«, sagte er. »Ich bin sicher, diese Männer sind uns schon länger auf den Fersen. Sie suchen diesen Schatz genauso wie wir.«
Er fuhr mit der Hand über die Klinge. Dann begann er, mit seinem Stilett den restlichen Rost herunterzukratzen, bis er die ganze Schrift freigelegt hatte. Es waren einzelne Wörter , die in weiten Abständen über der Klinge verteilt waren.
Heredium in baptistae sepulcro …
»Das Erbe im Grab des Täufers«, übersetzte er laut. »Man kann nicht behaupten, dass die Rätsel einfacher werden.«
»Und? Könnt Ihr Euch einen Reim darauf machen?«, fragte Benedikta.
Simon überlegte. »Das Erbe könnte der Schatz sein. Der Täufer ist vermutlich Johannes der Täufer. Das ist leicht. Aber sein Grab ...?« Er runzelte die Stirn. »Ich kenne keinGrab von Johannes dem Täufer. Ich vermute, es liegt irgendwo im Heiligen Land.«
»Aber wir sind hier im Pfaffenwinkel«, unterbrach ihn Benedikta. »Es muss etwas anderes bedeuten. Überlegt noch einmal!«
Simon rieb sich die Schläfen. »Gebt mir etwas Zeit. Der heutige Tag war etwas zu viel für mich ... « Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, betrachtete er lange das Schwert auf dem Bett. »Im Sarg von Friedrich Wildgraf unter der Lorenzkirche befanden sich zwar seine Knochen, aber kein Schwert«, bemerkte er nachdenklich. Mit den Fingern fuhr der Medicus an der Klinge entlang. Nun, nachdem der Rost weggekratzt war, glänzte sie wie gestern geschmiedet. Der Knauf war in Silber gefasst, die Parierstange zeigte einige kunstvoll verzierte Gravierungen. Simon sah sie sich genauer an.
Es waren Templerkreuze.
»Vielleicht ist das ja das Schwert des deutschen Tempelmeisters Friedrich Wildgraf«, sagte Simon. »Seine Waffe als Rätsel. Das würde zu ihm passen. Groß genug ist es.«
»Aber das löst leider noch nicht unser Problem, was dieser verdammte Spruch bedeutet! Wir sollten gleich morgen...«
Benedikta wurde unterbrochen von einem Klopfen.
»Wer kann das sein?« Simon stand auf und ging zur Tür. »Vielleicht der Wirt ... Ich werde ihm sagen, dass alles in Ordnung ist.«
Als er öffnete, stand vor ihm nicht der Wirt, sondern jemand, mit dem er um diese Zeit und an diesem Ort sicher nicht gerechnet hatte.
Bruder Nathanael fluchte nicht zum ersten Mal in seinem Leben, doch wie immer bat er Gott sofort um Verzeihung. Er rieb
Weitere Kostenlose Bücher