Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
sich die linke Schulter, von der er kurzzeitig gedacht hatte, sie wäre ausgekugelt. Sie tat höllisch weh, schien aber noch im Gelenk verankert zu sein. Als er den Fremden mitdem Fuß im Gesicht getroffen hatte, war er auf eine der Kirchenbänke gefallen. Das Klettern am Seil mit nur einem gesunden Arm hatte ihm den Rest gegeben. Trotz der Schmerzen lächelte Nathanael. Wenigstens hatte er einen dieser ketzerischen Bastarde in die Hölle geschickt. Nun stand er in einer dunklen Ecke des Klosterplatzes und murmelte das Confiteor .
»Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa ...«
Der Mord war, wie so viele, die er schon begangen hatte, nötig gewesen. Verübt im Namen der Kirche. Trotzdem war er natürlich eine Todsünde. Noch heute Nacht würde Nathanael sich dafür geißeln.
Von seinem Platz aus beobachtete der Mönch das Treiben auf dem Platz. Der Lärm in der Kirche hatte sehr schnell einige der Augustinerchorherren angelockt, die wegen der Vigilgebete bereits wach gewesen waren. Mittlerweile war trotz der späten Stunde eine ziemlich große Menge zusammengelaufen, darunter Handwerker, Bauern und der Propst des Klosters, der mit einigen Mitbrüdern auf die Kirche zueilte. Einige riefen bereits: »Der Teufel! Der Teufel geht in Rottenbuch um!« Auch wurde gemunkelt, Gott selbst hätte ein Zeichen wider den Bauwahn des Propstes setzen wollen.
Als die Gruppe um Michael Piscator die Kirche betreten hatte, ertönte lautes Rufen und Wehklagen. Nathanael vermutete, dass die Mönche soeben auf den geöffneten Sarg des heiligen Felicianus gestoßen waren. Wahrlich kein schöner Anblick, wie er selbst zugeben musste. Soweit Nathanael es gesehen hatte, war das Gerippe des Märtyrers in seine Einzelteile zerfallen. Eine Schändung, die vermutlich nicht einmal der Papst rückgängig machen konnte. Vielleicht bezog sich das Klagen der Chorherren aber auch auf die zerstörte Marienstatue, die umgeworfenen Kirchenbänke, die zerbrochenen Kirchenfenster oder den erdolchten Landsknecht.
Und dann lag da natürlich noch Bruder Avenarius.
Nathanael war sich sicher, dass er tot sein musste. KeinMensch überlebte einen Armbrustbolzen in den Rücken, noch dazu, wenn er danach kopfunter in einem Taufbecken schwamm. Bruder Nathanael verspürte eine gewisse Erleichterung. Ohne den fetten Avenarius konnte er sich schneller und unauffälliger bewegen. Und als Rätsellöser war der Mönch sowieso keine große Hilfe gewesen. Nathanael beschloss, dass es ab jetzt am einfachsten war, dem Medicus und seiner Dirne einfach zu folgen. Sie würden das Rätsel lösen, und dann würde er zuschlagen. Blieben nur diese Fremden …
Nathanaels Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Sie waren tatsächlich beobachtet worden. Dass ihm das nicht früher aufgefallen war, ärgerte ihn maßlos. Andererseits waren diese Männer eben gut. Schnell im Kampf, lautlos, skrupellos. Und sie waren offenbar wie er hinter dem Schatz her. Er würde sich von nun an in Acht nehmen müssen, auch wenn sie nur noch zu zweit waren.
Noch einmal überlegte er, wie es überhaupt zu dem Kampf gekommen war. Als Nathanael beobachtet hatte, wie die drei Männer in die Kirche kletterten, war er mit Avenarius hinterhergeeilt. Doch der fette Mönch war kaum das Baugerüst hochgekommen, und so hatten sie die Fremden im Dunkel des Kirchenschiffs aus den Augen verloren. Es war Bruder Avenarius gewesen, der sie schließlich auf seine ihm eigene Art wieder entdeckt hatte. Er war einem der Männer hinter einem Vorhang auf die Füße getreten!
Danach war alles sehr schnell gegangen. Nun erlebte Rottenbuch den schwärzesten Tag seit dem Einfall der Schweden, und Bruder Avenarius schwamm mit durchschossener Lunge im Taufbecken.
Die Klosterglocken begannen Sturm zu läuten. Nathanael wandte sich ab von der aufgeregten Menge auf dem Vorplatz, der mittlerweile mit Fackeln hell erleuchtet war. Kurz überlegte er, ihr Quartier aufzusuchen, das nur unweit derHerberge von Simon und Benedikta lag. Er und Avenarius hatten sich als wandernde Dominikaner ausgegeben und so von den Augustinern zwei Betten im Kloster zugewiesen bekommen. Doch jetzt, da Avenarius für alle sichtbar tot in der Kirche lag, wäre eine Rückkehr ins Kloster wohl zu riskant gewesen. Also suchte Nathanael eine Scheune in der Nähe auf, wo er im warmen Stroh auf den morgigen Tag warten wollte.
Als er gerade im Begriff war, durch die schmale Türöffnung ins Innere der Scheune zu schleichen, sah er draußen etwas, das sein Herz
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