Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Dieses Häuflein Elend sollte die berüchtigte Scheller-Bande sein? Gestern Abend noch war einer der Räuber an Kälte und Entkräftung gestorben. Die fünf restlichen Männer taumeltenmehr, als sie gingen, die Augen starr geradeaus gerichtet, das Gesicht blau geschlagen und schmutzig, die Hände mit Stricken gebunden. Die zwei Maß Wein, die jedem Verurteilten am Hinrichtungstag zustanden, hatten sie in wenigen Zügen geleert, so dass sie sichtbar Mühe hatten, aufrecht zu gehen. Die Beichte, die ihnen der Pfarrer heute früh abgenommen hatte, war dementsprechend lallend und stockend gewesen.
Weiter hinten liefen die Weiber der Räuber, eine trug ihren schreienden Säugling in einem Sack auf dem Rücken, die andere schob einen weinenden Buben vor sich her, der versuchte, die Hand seines betrunkenen Vaters zu erreichen, von den Bütteln aber immer wieder weggestoßen wurde.
Vorneweg ging der Henker. Trotz der Kälte trug er über seinem Hemd aus Leinen nur einen Lederkoller; die Hände waren in Handschuhe gehüllt, die nach der Exekution sofort verbrannt werden würden. Auf den sonst üblichen Schlapphut hatte er heute verzichtet, so dass sein langes schwarzes Haar und der zottige Bart im Wind wehten. In der rechten Hand schwang Jakob Kuisl wie einen Wanderstock eine lange, schwere Eisenstange. Mit dieser würde er dem Räuberhauptmann Hans Scheller in einer guten halben Stunde die Knochen brechen.
Die Menge johlte und warf mit Schneebällen, abgenagten Knochen und schimmligen Brotresten nach den Räubern. In der Mitte der Verurteilten ging Hans Scheller. Er machte einen gefassten Eindruck, den Kopf trug er aufrecht über der breiten Brust. Trotz der Wunden und blauen Flecke hatte sein Gesicht beinahe etwas Erhabenes. Die Leute spürten das und versuchten, ihm Angst einzujagen.
»Na, Scheller! «, rief einer. »Tun dir die Knochen weh vom faulen Rumliegen? Werden bald noch mehr weh tun!«
»Er soll mit den Beinen anfangen! Kuisl, fang mit den Beinen an! Dann kann er nicht mehr weglaufen!«
Die Schongauer lachten, doch Jakob Kuisl würdigte siekeines Blickes. Mit seinen sechs Fuß Körperlänge überragte er sie wie ein Turm. Wenn ihm die Masse zu nahe kam, ließ er die Stange durch die Luft zischen, als wollte er ein paar kläffende Köter vertreiben.
Am Marktplatz trafen sie auf die Ratsherren und den Gerichtsschreiber Lechner, der als Stellvertreter des Kurfürsten die Hinrichtung leiten würde. Er ließ seinen Blick über den zerlumpten Haufen Räuber schweifen, nickte Jakob Kuisl zu, dann zogen sie durch das Hoftor die Altenstadter Straße entlang, eine sich windende, lärmende Schlange von Menschen in der schneeweißen Landschaft. Ein Gaukler sang, begleitet von einer Fiedel, seine eigenen Reime auf eine uralte Melodie.
»Dem Scheller Hans, dem Scheller Hans, dem brechen’s heut die Knochen ganz ...«
Als sie die Köpfstatt erreichten, betrachtete Johann Lechner anerkennend das weite, vom Schnee freigeräumte Feld. Der Henker hatte in den letzten Tagen ganze Arbeit geleistet. Neben dem zwei Schritt hohen Holzpodest, auf dem das Rädern stattfinden würde, hatte Jakob Kuisl drei Pfosten in den gefrorenen Boden geschlagen, die jeweils mit einem Querbalken zu einem Dreieck verbunden waren. Hier würden die übrigen vier Räuber gehängt werden. In vorderster Reihe waren Bänke für die Ratsherren aufgestellt, der Rest der Bürgerschaft musste sich mit Stehplätzen begnügen.
Noch immer läutete die Totenglocke. Als sich alle auf dem Feld eingefunden hatten, stieg der Gerichtsschreiber die schmale Treppe zum Holzpodest empor und hielt mit beiden Händen einen dünnen, schwarzen Holzstab in die Höhe. Für einen kurzen Moment herrschte trotz der vielen Menschen absolute Stille. Nur die Glocke und das Brechen des Stabs waren zu hören. Dann rief Johann Lechner: »Im Namen des mir verliehenen Amtes und als Stellvertreter seiner hochwohlgeborenen Majestät Ferdinand Maria verkünde ich hiermit, die Hinrichtung möge beginnen!«
Die Menge johlte, und der Moment der Stille war vorüber. Die Frauen der Räuber duckten sich, als erneut Schneebälle flogen. Mit den Kindern zogen sie sich hinter den Galgen zurück, durch zwei Büttel von den wütenden Schongauern abgeschirmt. Der Rat hatte den Räuberweibern erlaubt, alle ihre Männer bis auf Hans Scheller zu bestatten. Eine Gnade, die sie dem guten Zureden des Henkers zu verdanken hatten. Eigentlich hätte Jakob Kuisl Anspruch auf Kleider und Leichen gehabt. Mit
Weitere Kostenlose Bücher