Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Schreevogl lächelte. »Es freut mich, dass meine Bibliothek bei Euch auf so großen Gefallen stößt. Nun, wie soll der Spruch denn lauten?«
»Non nobis, Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam«, wiederholte Simon aus dem Gedächtnis.
Der Patrizier stutzte. »Wo habt Ihr diesen Spruch gelesen?«
»In der kleinen Lorenzkirche in Altenstadt.«
»Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen sei Ehre«, murmelte Jakob Schreevogl, und eine Falte legte sich quer über seine Stirn. »Seltsam. Das ist meines Wissens der Leitspruch der Templer gewesen.«
Simon musste husten, als er sich am Kaffee verschluckte. »Der Templer?«, fragte er schließlich.
Schreevogl nickte. »Es war der Ausruf, mit dem sie in die Schlacht gezogen sind.«
Plötzlich runzelte der Ratsherr die Stirn, er schien sich an etwas zu erinnern. Mit einer schnellen Bewegung stand er auf und ging zu einem Regal neben dem Ofen. »Jetzt weiß ich auch, welches Werk Ihr meint!« Nach einigem Stöbern zoger ein handtellergroßes, in Leder gebundenes Büchlein hervor. »Hier!«, rief er und reichte es Simon. »Das Traktat des Wilhelm von Selling. Ordinis Templorum Historia . Ein altes, seltenes Exemplar. Selling war ein englischer Benediktinermönch, der im Gegensatz zur Kirche die Templer vor dem Vergessen bewahren wollte. Deshalb schrieb er vor über zweihundert Jahren dieses Buch. Da waren die Templer aber schon seit einem Jahrhundert nur noch Geschichte.«
Simon nickte, während er in dem abgegriffenen Wälzer blätterte. Einige Seiten waren offenbar herausgerissen worden, andere Seiten von Feuchtigkeit gewellt oder angesengt. Das Buch war in Lateinisch geschrieben, mit verzierten Anfangslettern, kein Druck, sondern eine handgeschriebene Kopie. Es sah aus, als hätte es in seinem langen Leben schon einiges mitgemacht.
»Ich habe das Buch damals nur überflogen«, sagte Simon. »Trotzdem ist mir der Spruch in Erinnerung geblieben. Erzählt mir mehr von diesen ... Templern.«
Jakob Schreevogl setzte sich wieder hin und nippte an seiner Tasse Kaffee. Es dauerte eine Weile, bis er zu sprechen anfing. Draußen klopfte ein Eissturm an die Fensterscheiben.
»Ihr voller Name ist etwas länger, er lautet ›Arme Ritterschaft Christi vom salomonischen Tempel‹. Vieles, was wir über sie wissen, ist vielleicht nur Legende.« Der Patrizier machte es sich im Lehnsessel bequem, während er weitersprach. »Fest steht jedoch, dass die Templer die mächtigste und reichste Vereinigung waren, die die Welt bislang gesehen hat. Sie fingen als kleiner Ritterorden zur Zeit der Kreuzzüge an. Ihre eigentliche Aufgabe war es, die Pilger auf ihrem Weg nach Jerusalem zu beschützen. Eine bis dahin einmalige Mischung aus Rittertum und asketischem Mönchsorden. Aber durch geschicktes Taktieren und die richtigen Fürsprecher breiteten sich die Templer innerhalb weniger Jahrzehnte über ganz Europa aus. Templerniederlassungen gab es überall. Wer wollte, konnte sein Gold in Köln gegen einen Wechseltauschen und ihn in Jerusalem oder Byzanz wieder einlösen. Der Orden war nur dem Papst unterstellt und damit eigentlich unantastbar. Durch ihre geschickte Finanzpolitik wurden die Templer nach und nach reicher als Könige und Kaiser. Und das wurde ihnen schließlich wohl auch zum Verhängnis …«
»Was war geschehen?«, fragte Simon neugierig und goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein.
»Nun, es war wie so oft.« Jakob Schreevogl zuckte fast entschuldigend mit den Schultern. »Der französische König Philipp IV. hatte es auf ihr Geld abgesehen. Es gelang ihm, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion sämtliche Templer in ganz Frankreich festnehmen zu lassen. Er unterstellte ihnen Sodomie und satanische Riten, kaufte sich Zeugen und erzwang durch Folter die nötigen Geständnisse. Schließlich rückte auch die Kirche von den Templern ab, der Papst konnte sie nicht länger halten und ließ sie am Ende fallen. Ihr letzter Großmeister wurde, soviel ich weiß, in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Innerhalb weniger Jahre waren aus den mächtigsten Herren Europas machtlose Verfolgte geworden. Die Templer wurden gejagt und getötet, wenn es ihnen nicht vorher gelang unterzutauchen. Und das, nachdem sie fast zweihundert Jahre lang die Geschicke Europas mitbestimmt hatten.«
»Und ihr Geld?«, hakte Simon nach. »Das hat sich wohl der französische König unter den Nagel gerissen?«
Der Patrizier grinste. »Nur einen kleinen Teil. Der Rest ist bis heute verschwunden. Gold,
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