Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Kurbel mit einer Winde, die rechts neben einem der Kostümregaleangebracht war. Ohne weiter nachzufragen, rannte Simon darauf zu und begann zu drehen.
»Schnell!«, rief er den beiden Frauen zu. »Steigt auf die Plattform! Ich fahre euch hoch. Wenn ihr oben seid, lasst den Aufzug wieder herunter. Nun macht schon!«
Magdalena und Benedikta zögerten kurz, dann rannten sie auf die Plattform zu. Simon drehte weiter an der Kurbel, endlich setzte sich der Aufzug quietschend in Bewegung. In letzter Sekunde sprangen die Frauen auf.
»Pass auf, Simon! «, schrie plötzlich Magdalena. »Hinter dir!«
Ein dumpfer Schlag traf den Medicus am Hinterkopf. Noch im Taumeln sah er den Abt mit erhobenem Kreuz über sich stehen.
»Ihr habt dieses Feuer gelegt, nicht wahr?«, flüsterte Bonenmayr. »Ihr wollt dafür sorgen, dass das Kreuz verbrennt. Aber das wird euch nicht gelingen! Wer bist du, Simon Fronwieser? Ein Lutheraner? Ein Calvinist? Was hast du mit der Templerbrut zu schaffen?«
»Hochwürden, kommt zu Euch!«, keuchte Simon. »Warum sollten wir dieses Feuer legen? Wir verbrennen doch selbst, wenn wir uns nicht beeilen. Wir müssen gemeinsam …«
Das Kreuz rauschte ein zweites Mal auf ihn herab. Es gelang Simon gerade noch, die Hände vors Gesicht zu reißen. Trotzdem war der Schlag so heftig, dass ihm einen Moment lang schwarz vor Augen wurde.
Das Krachen einer Pistole ließ den Medicus wieder zu sich kommen. Offenbar hatte Benedikta ihre Waffe in der Zwischenzeit wieder laden können. Der Abt stand noch immer über ihm, das Kreuz zum letzten, diesmal tödlichen Schlag erhoben. Doch nun griff er an die Seite seiner weißen Tunika, wo sich ein roter Fleck langsam ausbreitete. Fast erstaunt blickte er auf das frische Blut an seiner Hand.
»Die gleiche Stelle, an der die Lanze des römischen Soldatenunseren Heiland traf«, murmelte Bonenmayr und blickte verzückt hoch zur Decke. »Nun gibt es keinen Zweifel mehr. Gott hat mich ausersehen!«
Simon versuchte aufzustehen, doch die Beine knickten ihm weg. Auf dem Boden liegend, musste er zusehen, wie Augustin Bonenmayr trotz des Bauchschusses auf die beiden Frauen zurannte, das Kreuz wie einen Knüppel schwingend.
»Verfluchte Ketzerbrut! «, schrie der Abt. »Das Kreuz kehrt zurück in den Schoß der Kirche! Gott hat es mir in die Hand gegeben, um diesen Ort zu weihen! Ihr werdet mich nicht daran hindern!«
Benedikta duckte sich, als der Abt erneut ausholte, und stellte ihm ein Bein. Bonenmayr stolperte, seine Brille fiel zu Boden; er taumelte der gegenüberliegenden Wand entgegen, wo es ihm gelang, sich wieder abzufangen. Erschöpft stützte er sich auf das Kreuz. Blut tropfte unter seiner Tunika hervor, doch er schien nicht sonderlich geschwächt.
»Verdammt, Bruder Lothar!«, sagte er keuchend zu seinem Gehilfen, der Tränen in den Augen hatte und wie ein kleines Kind zitterte. »Reiß dich zusammen. Vor dir stehen Feinde der Kirche. Ketzer! Tue das, was ich dich gelehrt habe! Deus lo vult! «
Der letzte Satz riss den Mönch aus seiner panischen Starre. Er straffte sich, das Zittern verschwand, dann stürzte er sich mit lautem Schreien auf Magdalena, die soeben Simon zu Hilfe eilen wollte. Die Henkerstochter hatte schon des Öfteren frechen Handwerksburschen eine Maulschelle verpasst, doch Bruder Lothar war ein anderes Kaliber. Er maß fast sechs Fuß, hatte breite Schultern und muskulöse Oberarme wie ein Augsburger Rottflößer. Mit Händen groß wie Kornscheffel stürmte er auf sie zu. Magdalena schlug einen Haken und lief hinter eines der Regale. Sie hatte keinen Plan, sie wusste nur, dass sie dem Mönch auf jeden Fall entkommen musste. Vielleicht fiel ihr ja beim Laufen etwas ein.
Magdalena schlug einen weiteren Haken, doch Bruder Lothar blieb ihr auf den Fersen. Sie tauchte unter Regalen durch und sprang über blecherne Apparaturen, deren Sinn sie nicht verstand; sie kletterte über Steinsarkophage und Steinhaufen.
Zu ihrer Rechten tauchte plötzlich ein gewaltiger Schrank auf, vollgestopft mit Kostümen. Schnell schlüpfte Magdalena hinein und hoffte, dass der schwerfällige Mönch daran vorbeilaufen würde. Sie roch Staub und den muffigen Geruch von Kleidern, die zu lange an einem feuchten Ort gelagert hatten.
Mit einem Mal spürte die Henkerstochter, dass sie nicht allein war. Neben ihr atmete jemand, es roch nach fremdem Schweiß.
Als sie ein silbernes Engelskostüm zur Seite schob, kauerte vor ihr Benedikta.
Die Händlerin führte den Finger an
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