Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
der seine prankengleichen Hände gerade in einen Topf mit weißem, fettartigem Brei tauchte und sie langsam und gründlich damit einschmierte.
»Ist das ... Menschenfett?«, keuchte der Maurer.
Obwohl Baumgartner sich Mühe gab, konnte er nicht verhindern, dass seine Stimme leicht zitterte. Er wusste, dass der Schongauer Scharfrichter die Leichen der Hingerichteten fein säuberlich häutete und das Fett von der Haut kratzte. Daraus stellte er eine Paste her, die wahre Wunder wirken sollte. Baumgartner mochte gerne an Wunder glauben; die Vorstellung allerdings, mit den glitschigen Resten eines Bösewichts eingerieben zu werden, verursachte ihm Bauchschmerzen.
»Blöder Hund, meinst, ich vergeud mein gutes Menschenfett an so einen wie dich?«, brummte Jakob Kuisl, ohne hochzusehen. »Bärenfett ist das, vermischt mit Arnika, Kamille und ein paar Kräutern, deren Namen du noch nie gehört hast. Und jetzt komm her, es wird ein bisserl weh tun.«
»Kuisl, lass ... ich glaub, ich geh doch lieber zum alten Fronwieser ... «, murmelte Peter Baumgartner, als er die beiden beschmierten, tellergroßen Pranken vor sich sah.
»Und lässt dir zwei Gulden abnehmen, dafür, dass du deinen Arm dann gar nimmer bewegen kannst. Stell dich nicht so an und komm her.«
Baumgartner seufzte. Er war vor einer Woche vom Baugerüst in der Lorenzkirche gestürzt. Seitdem leuchtete seine Schulter in sämtlichen Farben, der Schmerz pulste bis hinunter in die rechte Hand, so dass er nicht einmal mehr einen Löffel halten konnte. Lange hatte er gezögert, zum Henker zu gehen. Aber mittlerweile hatte er Angst, dass er seinen rechten Arm vielleicht nie mehr würde benutzen können. Also hatte er sein Erspartes zusammengekratzt und war heute Mittag nach Schongau aufgebrochen. Die Heilkünste Jakob Kuisls waren berühmt, weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Wie alle Scharfrichter verdiente Kuisl sein Geld weniger mit Exekutionen und Folterungen, von denen es jedes Jahr höchstens eine Handvoll gab, sondern vielmehr mit dem Heilen und dem Verkauf von Salben, Pillen und Tinkturen. Auch ein Stück vom Henkerstrick oder den Daumen eines Diebes konnte man bei ihm erwerben. In den Geldbeutel gelegt sollte der mumifizierte Finger vor jeglichem Diebstahl schützen. Natürlich nur, wenn man den Geldbeutel täglich mit Weihwasser besprengte und eifrig daran glaubte. Jakob Kuisl glaubte nicht daran, aber er verdiente gut damit.
Wie viele andere Patienten vor ihm in der Henkerstube war Peter Baumgartner hin- und hergerissen zwischen Angst und Hoffnung. Es war bekannt, dass die meisten Menschen das Kuisl-Haus wenigstens nicht kränker verließen, als sie es betreten hatten, in vielen Fällen sogar gesünder. Ein Umstand, der bei den studierten Ärzten eher selten der Fall war. Auf der anderen Seite war Jakob Kuisl der Schongauer Henker. Schon ein Blick von ihm brachte Unglück, mit ihm zu sprechen war Sünde. Sollte Baumgartner diesen Krankenbesuch beim nächsten Kirchgang beichten, würde er sicher hundert Vaterunser aufgebrummt bekommen.
»Komm her, verdammt! Oder ich renk dir auch noch die andere Schulter aus.«
Noch immer stand Jakob Kuisl mit seinen eingefetteten Händen vor dem stämmigen Maurer. Baumgartner nickte ergeben, schlug ein Kreuz und trat dann einen Schritt nach vorne. Der Henker drehte ihn herum, tastete vorsichtig die geschwollene Schulter ab, packte plötzlich Baumgartners rechten Arm und zog ihn kräftig nach hinten und dann nach unten. Ein Knacken ertönte.
Der Schrei war bis hinauf zum Marktplatz zu hören.
Baumgartner wurde schwarz vor Augen. Benommen ließ er sich auf den Schemel neben dem Tisch fallen. Er war kurz davor, sich zu übergeben. Gerade wollte er zu einem nicht enden wollenden Fluch ansetzen, als er einen Blick auf seine rechte Hand warf.
Er konnte sie wieder bewegen!
Auch der Schmerz in der Schulter schien nachzulassen. Jakob Kuisl knallte ihm einen hölzernen Tiegel vor die Nase.
»Sag deiner Frau, sie soll die Schulter damit dreimal am Tag eine Woche lang einmassieren. In zwei Wochen wirst du wieder arbeiten können. Du schuldest mir einen Gulden.«
Baumgartners Freude über den nachlassenden Schmerz bekam einen herben Rückschlag.
»Einen Gulden?«, keuchte er. »Verdammt, so viel nimmt nicht mal der alte Fronwieser. Und der hat studiert!«
»Nein, der lässt dich zur Ader, schickt dich heim, und drei Wochen später sägt er dir für drei Gulden den ganzen Arm ab. Das ist das, was er studiert
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