Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
aufsah, bemerkte er eine Gestalt in einer der vorderen Kirchenbänke, die ihm vorher nicht aufgefallen war. Vermutlich lag es daran, dass die Person kniete und den Kopf geneigt hielt. Ein Kopftuch fiel ihr bis über die Schulter. Bevor Simon etwas sagen konnte, richtete sie sich auf, schlug ein Kreuzzeichen und drehte sich zu ihm um. Simon zuckte zusammen. Es war Benedikta Koppmeyer! Ihr Gesicht war noch blasser als gestern, sie schien nicht viel geschlafen zu haben. Trotzdem ging von ihr eine Aura der Stärke aus, wie Simon es noch nie bei einer Frau erlebt hatte. Als die Händlerwitwe Simon erkannte, lächelte sie ihm mit schmalen Lippen zu.
»Ich ... ich habe Euch nicht hier in der Kirche erwartet«, stotterte der Medicus, während sie sich ihm näherte. Im milchigen Licht des Morgens sah es kurz aus, als würde sie schweben. »Ich dachte, Ihr seid in Schongau beim ›Stern‹ untergekommen.«
»Bin ich auch«, sagte sie leise und reichte ihm die beringte Hand zum Kuss. »Aber ich konnte nicht schlafen. Also kam ich hierher, um zu beten. Diese Kirche ... sie ist etwas ganz Besonderes, findet Ihr nicht?«
Simon nickte. Auch Benedikta konnte sich offenbar dem Zauber der Basilika nicht entziehen. Dann fiel ihm ein, dass sie den Weg von Schongau nach Altenstadt noch vor Morgengrauen zurückgelegt haben musste.
»Ihr solltet nicht alleine unterwegs sein«, bemerkte er besorgt. »Eine Räuberbande treibt zurzeit ihr Unwesen in dieser Gegend. Eine wehrlose Frau wie Ihr ...«
»Ich bin nicht so wehrlos, wie ich aussehe«, unterbrach sie ihn trocken. Dann deutete sie auf seine leeren Hände und wechselte das Thema. »Ihr habt heute gar nicht Euren Beutel dabei. Gibt es keinen Kranken zu behandeln? Oder was führt Euch sonst hierher? Das Beten?«
Simon musste schmunzeln. »Leider nicht. Obwohl ich glaube, der Pfarrer würde mich gerne öfter in der Kirche sehen. « Er stockte, bevor er weitersprach. »Nein, es hat mit Eurem Bruder zu tun.«
»Mit meinem Bruder?« Benedikta sah ihn erstaunt an. Simon nickte und blickte sich nach weiteren Betenden um.
»Es sieht ganz so aus, als hätte Euer Bruder etwas entdeckt dort unten in der Krypta der Lorenzkirche«, flüsterte er schließlich. »Vielleicht wurde er deshalb zum Schweigen gebracht.«
»Aber was habt Ihr dann in der Basilika St. Michael verloren?«, fragte sie hartnäckig weiter.
»Nun, ich hoffe, dass der Pfarrer hier mir mehr über die Lorenzkirche sagen kann. Schließlich gehört sie zu seiner Gemeinde.«
Benedikta nickte. »Ich verstehe«, sagte sie. Nach einer Weile des Zögerns fuhr sie fort: »Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich Euch zum Pfarrer begleite? Ich möchte erfahren, was es mit dem Tod meines Bruders auf sich hat.«
Simon zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«, sagte er. »Dann kommt. Er bereitet vermutlich gerade die Messe vor.«
Sie trafen den Pfarrer in der Sakristei an, in der Hand einen tropfenden Krug, den er zum Mund führte. Offensichtlich verkostete er gerade den Messwein.
»Das Blut Christi«, murmelte Simon so laut, dass der Pfarrer ihn hören musste. »Welch ein Glück, dass uns der Heiland ein solch wohlschmeckendes Erbe hinterließ.«
Pfarrer Elias Ziegler zuckte kurz zusammen, fing sich aber schnell wieder. Verärgert drehte er sich zu den ungebetenen Gästen um. Er war klein und beleibt, sein Gesicht fleischig mit einer verwachsenen Nase, über die sich rote Äderchen zogen. Er sah tatsächlich so aus, als würde er sich des Öfteren von der Qualität des Messweins überzeugen.
»Wir Ihr sicher wisst, wird der Messwein erst durch die Wandlung zum Blut Christi«, erklärte er trocken. »Im jetzigen Zustand ist er nur ein Wein, wenn auch ein ziemlich guter. « Der Pfarrer fuhr sich über den Mund und stellte den Krug auf ein silbernes Tablett, auf dem sich auch die Hostien befanden. Dann wischte er sich die nassen Finger an seinem schwarzen Talar ab. Seine Stimme klang ein wenig vernuschelt. »Ich nehme an, es gibt einen Grund, warum Ihr mich bei den Vorbereitungen zur Messe stört. Noch dazu mit einer Frau, hier in der Sakristei ...«
»Wir wollen es kurz machen, Hochwürden«, sagte Simon. Er stellte sich und Benedikta vor. Als der Name Koppmeyer fiel, horchte der Pfarrer auf.
»Andreas Koppmeyer?«, fragte er. »Der Pfarrer der Lorenzkirche? Wie ich hörte, ist er tot. Mein Beileid an die Schwester. Weiß man schon, was ...«
»Ich möchte gerne, dass Ihr das Begräbnis meines Bruders in die Wege leitet«,
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