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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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weiß. Es war immer vor unseren Augen!«
    »Wovon redest du?«, fragte Magdalena.
    Simon hüpfte jetzt um den Tisch herum. Einer der Becher mit dem Kräutersud fiel um und verspritzte seinen Inhalt über der Tischfläche. Auch der Henker sah Simon jetzt verdutzt an.
    »Red schon«, sagte er. »Und führ dich bittschön nicht auf wie der leibhaftige Beelzebub.«
    Simon hielt inne, aber er setzte sich nicht wieder hin. »Ich ... ich muss zuerst etwas nachprüfen«, sagte er keuchend. »Habt ihr eine Bibel im Haus?«
    Jakob Kuisl stand auf, ging hinüber in seine Kammer und kam mit einem abgegriffenen Buch zurück.
    »Gott ist auch beim Henker zu Hause«, knurrte er und warf Simon die Bibel zu. Der Medicus fing an, darin zu blättern. Endlich fand er die entsprechende Seite.
    »Hier!«, sagte er und tippte triumphierend auf eine bestimmte Stelle. »Die Offenbarung des Johannes, Kapitel vier. Hier steht der Vers!« Er begann, die Zeile vorzulesen. »Ich will meinen zwei Zeugen auftragen, dass sie sollen weissagen ...« Aufgeregt sah er die beiden an. »Die beiden Zeugen sind Henoch, der Sohn des Kain, und der Prophet Elias! Wenn sie ankommen, das Tier zu bekämpfen, steht der Jüngste Tag kurz bevor!«
    Magdalena zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Schön, dass du dich in der Bibel auskennst. Aber wo finden wir diese... Zeugen? Ich hab sie jedenfalls hier in Schongau noch nie gesehen.«
    Simon grinste breit über das ganze Gesicht.
    »Hier in Schongau tatsächlich nicht«, sagte er. »Aber in Altenstadt. Sie prangen gut sichtbar auf dem Portal der Altenstadter Basilika. Ich finde, wir sollten dieser schönen Kirche heute noch einen Besuch abstatten.«
     
    Als sie das Relief oben am Portal sahen, wunderten sie sich, dass sie es nicht schon früher bemerkt hatten. Es thronte direkt über dem Eingang. Ein Ritter, der mit Schild und Schwert gegen einen Drachen kämpfte, und ein zweiter Mann, der von dem Untier gerade verschlungen wurde. Wie oft war jeder von ihnen unter diesem Relief hindurch schon in die Basilika gegangen!
    »Ich habe so ein Bild auch in anderen Kirchen gesehen«, murmelte Simon. »Ein Pfarrer in Ingolstadt hat mir mal erklärt, dass es einst ein Symbol für den nahenden Jüngsten Tag war.«
    »Dann hat sich der Jüngste Tag ja reichlich Zeit gelassen«, bemerkte Magdalena. »Schließlich warten wir immer noch darauf.«
    »Ihr wart’s nie draußen im Krieg«, sagte Kuisl und betrachtete den geifernden Drachen mit seinen Krallen und Flügeln. »Sonst wüsstet ihr, dass die vier Reiter der Apokalypse schon längst unter uns sind.«
    »Hör auf mit deinem Geraune, Vater«, sagte Magdalena. »Hilf uns lieber weiter.« Dann wandte sie sich an Simon. »Also, hier sind die beiden Zeugen. Und jetzt?«
    »Es muss irgendwo einen Hinweis geben«, murmelte Simon. »In der Basilika oder hier draußen. Ich schlage vor, wir trennen uns. Du, Magdalena, suchst außen um die Basilika herum, dein Vater und ich gehen hinein.«
    Jakob Kuisl war schon auf dem Weg nach drinnen, Simon folgte ihm. Als er das Innere der Basilika St. Michael betrat, durchfuhr ihn wie so oft ein Schauer. Der Große Gott von Altenstadt blickte von seinem über drei Schritt großen Holzkreuz gütig auf sie herunter. Jetzt am späten Nachmittag waren sie fast allein in der Kirche. Nur in den vorderen Bänken saßen ein paar alte Frauen, die mit gichtigen Händen ihre Rosenkränze kneteten. Es roch intensiv nach Weihrauch. Simon vergaß für einen kurzen Moment, weshalb er hier war, und faltete die Hände zum Gebet. Wenn er die prunkvollen, neuen Klosterbauten in Steingaden mit der Altenstadter Basilika verglich, hatte er das Gefühl, dass Gott eher hier zu Hause war.
    Während der Medicus in sich versunken das gewaltige Kruzifix anstarrte, ging der Henker zielstrebig durch das Mittelschiff nach vorne und betrachtete konzentriert die Fresken im Altarraum. Danach durchwanderte er die Seitenschiffe.Im linken Schiff hatte ein längst verstorbener Künstler die vierzehn Nothelfer an die Wand gemalt; über dem Eingang blickte ein überlebensgroßes Bildnis des heiligen Christopherus vorwurfsvoll auf den Henker herab.
    »Nichts«, brummte er. »Ich kann nichts finden. Kruzitürken! Ich glaub, du hast dich getäuscht.«
    »Wir müssen weitersuchen«, insistierte Simon. »Es ist sicher hier etwas. Es ist nur gut versteckt. Vielleicht...«
    Er wurde unterbrochen durch einen Schrei, der von draußen kam. Es war Magdalena! Sie stürzten hinaus und fanden sie

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