Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
am Rande des verschneiten Friedhofs, der die Basilika umgab. Sie stand vor der linken Kirchenmauer und deutete auf eine kleine, nur handtellergroße Tafel in Brusthöhe, fast zugewachsen von Efeu. Magdalena hatte das vereiste Unkraut zur Seite geräumt.
»Hier!«, rief sie. »Hier steht es! Du hast recht gehabt, Simon!«
Die Tafel war aus Stein und in eine Vertiefung des Mauerwerks hineingemörtelt. Sie sah alt und verwittert aus; eine Inschrift war darauf eingraviert.
Fridericus Wildergraue, Magister Domus Templi in Alemania. Anno domini MCCCXXIX. Sanctus Cyriacus, salva me.
»Die Grabplatte von Friedrich Wildgraf«, flüsterte Simon. »Gestorben 13 29 ...«
»Aber warum ist die Grabplatte hier, wenn das Templergrab in der Lorenzkirche steht?«, fragte Magdalena.
Simon zuckte mit den Schultern. »Im Jahre 13 29 waren die Templer in Deutschland schon seit über zwanzig Jahren verboten«, sagte er. »Vielleicht war es einfach zu gefährlich, den deutschen Provinzmeister hier zu begraben. Möglich, dass man beim damaligen Pfarrer nur diese kleine Inschrift durchsetzen konnte.« Er fuhr über die eingemeißelten Buchstaben. »Vielleicht ist diese Tafel aber auch nur hinterlassen worden, um uns auf die richtige Spur zu bringen ...«
»Bevor wir weiter um den heißen Brei herumreden, lasst es uns einfach rausfinden.« Der Henker zückte ein Messer und begann, den Mörtel um die Platte herauszukratzen.
»Aber Vater!«, flüsterte Magdalena. »Wenn uns der Pfarrer sieht …«
»Der Pfarrer ist mit der Vorbereitung der Abendmesse beschäftigt und besäuft sich vermutlich mit dem Messwein«, sagte Jakob Kuisl und kratzte weiter. »Aber du kannst ihn gerne fragen, wenn du willst.«
Schon nach kurzer Zeit entstand um die Platte herum eine Rille. Der Henker setzte seinen Dolch als Hebel an, und die Platte fiel in den weichen Schnee.
Dahinter war nichts als graues Gestein.
Simon klopfte dagegen. Der Stein war fest, Teil eines gewaltigen Quaders, unverrückbar wie die anderen Steine, aus denen die Kirche erbaut war.
»Verdammt!«, rief er. » Das kann es doch nicht sein! Hält uns dieser Templer zum Narren?«
Der Medicus schlug mit dem Fuß gegen die eisige Kirchenwand, was die Wand nicht weiter beeindruckte. Nur seine eingefrorenen Zehen schmerzten. Schließlich atmete er tief durch.
» Gut. Das Rätsel hat uns zur Basilika gebracht«, murmelte er. »Hier ist die Grabplatte. Was haben wir übersehen?«
Der Henker griff noch einmal zur Platte, die vor ihm auf dem Boden lag.
»Sanctus Cyriacus, salva me«, murmelte er. »Heiliger Cyriacus, rette mich ... Merkwürdig, dass er sich für die Inschrift gerade diesen Heiligen ausgesucht hat. Soweit ich weiß, war dieser Cyriacus ein Märtyrer, der erst mit siedendem Öl übergossen und dann enthauptet wurde.«
»In der Todesstunde ist der heilige Cyriacus der Nothelfer bei Anfechtungen«, sagte Simon. »Für einen Templer, dem Verrat und Sodomie vorgeworfen wird, nicht gerade der schlechteste Patron.«
»Sind drinnen in der Kirche nicht auch die Nothelfer aufgemalt?«, fragte Jakob Kuisl. »Einen heiligen Cyriacus hab ich da aber nicht gesehen...«
Simon durchfuhr es gleichzeitig heiß und kalt. Die Nothelfer im südlichen Seitenschiff! Wie hatte er nur so blind sein können?
Ohne auf die anderen zu warten, rannte er um die Kirchenmauer herum, stürmte durch das Portal, bis er schließlich vor den Nothelfern im Seitenschiff stand. Sie waren in Paaren übereinanderpostiert. Ganz oben stand die heilige Barbara, die Patronin der Sterbenden und Helferin bei Blitz- und Feuersgefahr. Es folgten der heilige Christopherus, die heilige Margareta als Patronin der Gebärenden, der heilige Georg und der heilige Blasius, der bei Halsleiden helfen sollte. Noch neun weitere Nothelfer waren auf der Kirchenwand verewigt, doch der heilige Cyriacus war nicht darunter.
Dafür aber ein anderer Heiliger, dessen Name klein unter dem Bild vermerkt war.
Sanctus Fridericus. Der heilige Fridericus …
Simon hätte beinahe gelacht, als er die Inschrift sah. Offensichtlich war bisher keinem der vielen Kirchgänger der Irrtum aufgefallen. Dargestellt war ein Mann im Bischofsgewand mit Mitra und Stab. Seine rechte Hand hatte er schützend über eine Burg erhoben, die auf einem bewaldeten Berg thronte. Bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass er mit dem Zeigefinger die Burg berührte.
In der Zwischenzeit waren auch Jakob Kuisl und seine Tochter vor dem Fresko angekommen. Simon deutete auf
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