Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
schlug und Stoßgebete in den Nachthimmel schickte. Sollte da drinnen wirklich noch jemand lauern, würden die beiden vermutlich vor Schreck tot umfallen, dachte Magdalena. Doch in der Kirche war nichts. Zwar war die Grabplatte über der Krypta zur Seite geräumt, doch auch nachdem Magdalena unter Magdas Beten und Jammern in die Krypta hinabgestiegen war ,hatte sie nichts finden können. In beiden unterirdischen Räumen hatte offensichtlich ein Kampf stattgefunden, Gerümpel lag zerbrochen am Boden. In der hinteren Kammer war der Sarkophag wohl noch einmal untersucht worden. Knochen und Stofffetzen waren quer über die Kammer verteilt. Doch der Sarg stand dort nach wie vor mit geschlossenem Deckel, genauso wie ihn ihr Vater und Simon das letzte Mal hinterlassen hatten. Kurz beschlich sie beim Betrachten des Sarkophags ein mulmiges Gefühl, aber sie konnte sich nicht erklären, warum. Fast war ihr, als würde sie die Anwesenheit ihres Vaters spüren. Aber er blieb verschwunden.
Voller Angst hatte sie schließlich die Nacht im Pfarrhaus verbracht und war am nächsten Morgen in aller Frühe nachHause gelaufen. Ihre Mutter stand bereits an der Haustür, die Augen rot vom Weinen.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie. »Und wo ist der Vater?«
Einen Augenblick lang war Magdalena versucht, ihrer Mutter ein Lügenmärchen aufzutischen – sie habe als Hebamme die Nacht in Altenstadt durcharbeiten müssen, und der Vater schlafe beim Strasser seinen Rausch aus. Aber dann brach es plötzlich aus ihr heraus.
»Ich ... ich weiß es nicht«, konnte sie nur noch schluchzen, bevor sie sich weinend an der Brust ihrer Mutter vergrub. Drinnen am Stubentisch erfuhr Anna Maria Kuisl schließlich die ganze Wahrheit über das ungewisse Schicksal ihres Mannes.
»Wie oft hab ich dem Vater gesagt, er soll sich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen!«, schimpfte Anna Maria Kuisl. »Haben wir selber nicht schon genug Schwierigkeiten? Aber nein, er will ja nicht hören. Steckt seine Nase in Bücher und die Ärsche fremder Leute, und jetzt bringt er einmal mehr seine eigene Tochter in Gefahr! Der Teufel soll ihn holen!«
Es war Anna Maria Kuisls ureigenste Methode, die Angst um ihren Mann durch Schimpfen und Fluchen zu besiegen. Je mehr sie schimpfte, umso mehr löste sich die Angst; zum Schluss wünschte sie ihrem Gatten oft sogar den Tod an den Hals, obwohl sie ihn wirklich liebte. Anna Maria Kuisl stammte selbst aus einer Kemptener Henkersfamilie. Tod und Schrecken waren für sie etwas ganz Natürliches, doch die Angst um ihre Familie konnte ihr niemand nehmen. Auf der anderen Seite konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Jakob von drei dahergelaufenen Meuchelmördern erschlagen und verscharrt worden war. Nicht Jakob Kuisl, der Henker von Schongau! Dieser gottverdammte, quadratschädlige, siebeng’scheite Hundsfott!
Diesen denkbar ungünstigsten Moment hatte JakobKuisl sich ausgesucht, um heimzukehren. Die Tür öffnete sich quietschend, und da stand seine breite Gestalt, immer noch überzogen von Steinstaub, Dreck und Knochenmehl. Er blutete an der Stirn und am Arm, seine Hände waren bis unter die Haut aufgeschürft, jeder einzelne Muskel schmerzte und war steif wie ein Brett. Wohl deshalb war es ihm nicht möglich, dem mit Brei gefüllten Kupfertopf auszuweichen, der auf ihn zugeflogen kam.
»Schafsköpfiger Bauernschädel! Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst deine Tochter aus dem Spiel lassen, wenns’d wieder rumspionierst!«
Jakob Kuisl wischte sich das warme Gerstenmus vom Hemd und steckte einen Finger voll in den Mund. »Habt’s noch mehr oder war des alles für heut? Schmeckt gar ned a mal schlecht ... «, murmelte er.
Ein Tonbecher kam auf ihn zugeflogen. Doch diesmal war der Henker gewappnet. Er drehte den immer noch steifen Oberkörper, so dass das Gefäß spritzend an der Wand hinter ihm zersplitterte.
»Dass du’s überhaupt noch wagst, hier aufzutauchen!«, rief seine Frau. Aber ihre Wut schien schon ein wenig verraucht zu sein. Außerdem fehlte ihr weitere Munition. »Sorgen hab ich mir gemacht, um euch beide!«
Tappelnde Schritte waren oben auf der Stiege zu hören. Die siebenjährigen Zwillinge Georg und Barbara blinzelten in Nachthemden hinter dem Geländer hervor.
»Mama, warum hat der Papa den ganzen Brei auf der Jack’n?«
»Weil ihn die Mama geschimpft hat.« Anna Maria Kuisl ging die Treppe nach oben. »Weil ihr so einen gottverdammten Sturschädel als Vater habt, dass es
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