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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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gegen einen Becher Gewürzwein einzuwenden? Magdalena war vermutlich bereits hinunter zum Gerberviertel gelaufen und schmollte im Haus ihres Vaters. Wahrscheinlich war es sogar besser, noch einige Zeit zu warten, bis der größte Zorn verraucht war.
    Außerdem gab es ja tatsächlich eine Menge zu erzählen. Simon brauchte einfach jemanden, mit dem er reden konnte. Zu viel war in den letzten Tagen passiert. In froher Erwartung taumelte er hinter Benedikta auf das Semer-Wirtshaus zu. Als sie die Türe öffnete, drang der Duft von frischgebackenem Kuchen und warmem Wein in seine angeschwolleneNase.
     
    Magdalena wischte sich die Tränen aus den Augen und rannte halbblind durch die Straßen von Schongau. Menschen gingen an ihr vorüber, doch sie nahm sie nicht wahr. Sie war einfach so ... wütend. Wie konnte Simon nur so gemein zu ihr sein! Vielleicht war es ja tatsächlich wahr und sie passten einfach nicht zueinander. Sie, eine Henkerstochter, das Schindermädchen, Spross eines unehrlichen Berufstands – und er, der studierte Medicus, den die Frauen im Ort bewunderten, der fein daherreden konnte, mit seinen glitzernden Mantelknöpfen und geputzten Stiefeln. Dabei kam er doch selbst aus armen Verhältnissen! Sein Geld und seine Kleider waren geliehen oder geschenkt von irgendwelchen Verehrerinnen, die um ihn herumscharwenzelten. Magdalena biss die Zähne zusammen. Viel zu lange hatte sie diesem Treiben zugesehen, nun war endgültig Schluss. Sie mochte eine unehrliche, schmutzige Henkerstochter sein, aber sie hatte auch ihren Stolz.
    Das Husten und Greinen eines Kindes riss sie aus ihren Gedanken. Ohne auf die Richtung zu achten, war sie hinter dem Hoftor rechts in eine schmale Seitenstraße abgebogen und so über kleine Gassen ins Frauentorviertel gelangt, wo die ärmeren Bürger wohnten. Der scharfe Geruch von Beize lag in der Luft. Aus der Hütte eines Schwarzfärbers drang beißender Dampf; auf Holzgerüsten vor der Tür waren graue, frische gefärbte Leinenkittel aufgehängt. Magdalena sah sich um und horchte. Das Weinen kam eindeutig aus der Hütte. Als die Henkerstochter an der windschiefen Kate mit Strohdachvorüberging, blickte sie eine blasse Frau mit eingefallenen Wangen an, die in der niedrigen Türöffnung stand.
    »Du bist doch die Tochter vom Kuisl, oder?«
    Magdalena konnte nichts Feindseliges in ihrem Blick erkennen, sie blieb stehen und nickte.
    »Sollst eine gute Hebamme sein«, sprach die Frau weiter. »Der Maierin hast geholfen, die Zwillinge zur Welt zu bringen, und beide leben noch. Und dem Blaufärber seiner Tochter, dem jungen Luder, hast ein Pulver gegeben, dass der Balg wieder weggeht …«
    Magdalena sah sich vorsichtig nach allen Seiten um.
    »Ich weiß nicht, von was du redest«, sagte sie leise.
    »Ach, komm.« Die Frau machte eine verächtliche Handbewegung. »Bei uns im Viertel kannst du offen reden. Jede Zweite hier hat sich von deinem Vater schon ein Balg wegmachen oder sich ein Liebestränklein brauen lassen.« Sie kicherte, ein paar schwarze Stumpen waren zwischen ihren verdorrten Lippen zu sehen. »Den feschen Medicus können sich ja nur die Geldsäcke leisten oder die, die ihm schöne Augen machen. Aber wem erzähl ich das …«
    »Was willst du von mir?«, fragte Magdalena. »Ich hab keine Zeit für dein Gewäsch.«
    Das Gesicht der Frau wurde schlagartig ernst.
    »Meiner kleinen Lisbeth geht’s schlecht. Ich glaub, sie hat dieses Fieber. Aber für den Doktor haben wir kein Geld. Vielleicht magst du einmal nach ihr sehen …«
    Sie machte eine einladende Handbewegung nach drinnen und versuchte gleichzeitig einen erbärmlichen Knicks. Sämtlicher Hohn war aus ihren Augen verschwunden. Zurück blieb eine verzweifelte Mutter, die um das Leben ihres Kindes bangte.
    Magdalena zuckte mit den Schultern. »Ich kann sie mir mal anschauen. Aber versprechen will ich nichts.«
    Sie betrat das Innere der verrauchten Hütte. Auf einer offenen Feuerstelle stand auf einem rostigen Dreibein ein Kessel,aus dem beißender, zäher Dampf waberte. Der Qualm war so dicht, dass vom Rest der Hütte nicht viel zu sehen war. Magdalena erkannte einen wackligen Tisch, ein ranziges Butterfass, einen Schemel und ein paar mit Stroh ausgestopfte Säcke in der Ecke. Von dort kam das Greinen. Als sich Magdalena näherte, erblickte sie am Boden ein kleines Bündel Mensch. In Lumpen gewickelt lag dort ein etwa zehnjähriges Mädchen mit blassem, eingefallenem Gesicht. Augenringe lagen wie schwarze Halbmonde um ihre

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