Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
die ersten Häuser von Peiting zu erkennen, als rechts ein schmaler Pfad auf den Schlossberg hinaufführte. Simon schritt voraus. Der Schnee war hier wesentlich höher und noch nicht festgetreten, nur mit Mühe kamen sie voran. Immer wieder sanken sie ein, manchmal bis zur Hüfte. Nach einer Weile entdeckten sie einen Wildwechsel, wo Tiere bereits eine Spur gezogen hatten, so dass das Gehen leichter fiel. Der Weg stieg steil an, links und rechts standen uralte Eichen, die einst Teil einer herzoglichen Allee gewesen sein mussten, die jetzt aber der Wald verschlungen hatte. Etwa einehalbe Stunde später hatten sie die Kuppe des Hügels erreicht, der Wald wich zurück und machte den Blick frei auf eine Lichtung, auf der die Überreste einer Burg standen.
Die Schweden hatten ganze Arbeit geleistet. Die Außenmauern waren allesamt niedergerissen, die herrschaftlichen Gebäude standen als dürre, schwarze Gerippe zwischen verrußten Balken und schneebedeckten Trümmerhaufen. Nur noch der Bergfried ragte wie ein mahnender Zeigefinger aus der Ruinenlandschaft empor. Eine gespenstische Stille lag über der Lichtung, so als würde der Schnee, der hier oben teils meterhoch lag, sämtliche Geräusche schlucken.
»Na wunderbar«, sagte Benedikta und rieb ihre frostigen Hände aneinander. »Einen besseren Platz für ein Versteck hätte dieser Templer wirklich nicht finden können.«
Simon zuckte mit den Schultern und blickte ein wenig ratlos auf das Durcheinander.
»Als die Templer noch in Schongau lebten, muss das hier ein stattliches Schloss gewesen sein. Aber irgendwann hat sich der Herzog nicht mehr blicken lassen, die Burg verfiel, und jetzt noch die Schweden ... « Er kletterte auf einen Schutthaufen und versuchte von dort, das ganze Ausmaß der Anlage zu überblicken. Von hier oben sah man bis nach Schongau und auf den Lech, der von den Bergen gen Augsburg floss, weit entfernt ragte der Hohe Peißenberg im Morgennebel empor. Doch direkt unter ihnen lagen nur Trümmer und Ruinen. Simon seufzte und stieg vorsichtig wieder zu Benedikta hinunter. »Genauso gut könnten wir eine Stecknadel in einem Heuhaufen suchen«, sagte er. »Aber nun gut, da wir schon mal hier sind ...«
Sie beschlossen, sich aufzuteilen. Benedikta übernahm den südlichen Teil der Anlage, Simon den nördlichen. Er stapfte über Geröllfelder und warf immer wieder einen flüchtigen Blick in die Gebäude, von denen meist nur noch die Mauern standen. Mehrmals stieß er zwischen Steinbrocken auf Knochen und grinsende Totenschädel, in einer Nischeklemmten Überreste eines Gerippes, das in Fetzen eines schwedischen Waffenrocks gehüllt war. Zweimal brach Simon im Schnee ein; sein Stiefel verkeilte sich in einer verborgenen Spalte, so dass er Mühe hatte, sich zu befreien.
»Habt Ihr schon etwas gefunden?«, rief er in die Richtung, wo er Benedikta vermutete. Seine Stimme kam ihm merkwürdig laut und gleichzeitig gedämpft vor.
»Hier ist nichts!«, hallte es zurück. »Glaubt Ihr wirklich, dass wir weitermachen sollen?«
»Nur noch ein bisschen!« Er kletterte über einen weiteren Schutthügel und sah vor sich die Ruinen einer kleinen Kapelle liegen. Über Felsen und Schneewehen ging Simon auf die verfallenen Mauern des Kirchenschiffs zu, das auf einer kleinen Anhöhe stand. Hierhin hatten sich die Welfen wohl früher zum Beten zurückgezogen. Jetzt starrten ihn nackte, rußige Wände an, selbst die Kirchenfenster mit den Bleifassungenwaren herausgebrochen und vermutlich zu Kugeln eingeschmolzen worden. Schnee rieselte durch das Dachgerippe auf den steinernen Altar ,überall lagen Haufen von verkohlten Balken.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, betrat Simon die Kapelle und stieg auf einen der Holzstapel, um zum Altar zu gelangen. Die bisherigen zwei Rätsel des Templers hatten immer mit Kirchen zu tun gehabt, zunächst die kleine Lorenzkirche, dann die Altenstadter Basilika. Vielleicht war das auch hier der Fall. Er musste nur noch …
Krachend gaben die Balken unter ihm nach. Holzsplitter rissen ihm Mantel und Rock auf, während er mit einem lautlosen Schrei in die Tiefe fiel. Verzweifelt versuchte er sich an einem überhängenden Holzstück festzuhalten, doch es brach ab und polterte mit ihm in die Dunkelheit.
Der Aufprall war hart und schmerzhaft. Er spürte kalten Stein und etwas Dünnes, das unter ihm zersplitterte. Noch während er sich aufrappelte, hörte er ein reißendes Geräusch über sich. Instinktiv warf er sich zur Seite, als ein
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