Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
ganzer Stapel Balken in die Tiefe rauschte und direkt nebenihm am Boden liegen blieb. Einen Meter weiter rechts, und er wäre darunter begraben worden.
Simon atmete tief durch und bewegte vorsichtig seine Gliedmaßen. Es schien nichts gebrochen zu sein. Ein Riss in seinem neuen Augsburger Rock zog sich von der Achsel bis hinunter zur Hüfte. An einigen Stellen hatten sich winzige Holzsplitter durch die Kleidung in seine Haut gebohrt, doch ansonsten war er unverletzt.
Erst jetzt hatte er Gelegenheit zu untersuchen, auf was er da eigentlich gefallen war. Er griff neben sich und hielt einen bleichen, zerbrochenen Oberschenkelknochen in die Höhe. Zwischen seinen Beinen grinste ihn ein zahnloser Totenschädel an.
Entsetzt sprang Simon auf und sah sich um. Überall um ihn herum lagen Schädel und Gebeine, ein Haufen vermoderter, teils grünlich verfärbter Gerippe, die sich über den ganzen Boden verteilten. Er schien durch den morschen Boden in die Krypta der Kapelle gestürzt zu sein. Licht fiel in Streifen durch die Öffnung über ihm. An der Westseite führte eine schmale steinerne Treppe zu einer Falltür in der Decke, die wohl früher einmal der Eingang gewesen war. In die Felswände der Kammer waren Grabplatten gemauert, die Ritter mit ihren Schwertern oder auf dem Rücken ihrer Pferde zeigten. Simon sah sie sich genauer an. Vermutlich waren es Welfenherrscher, oder aber die Staufer, die nach ihnen auf dieser Burg residiert hatten. Kurz musste der Medicus daran denken, dass die Burg schon den Römern als Wehrturm gedient hatte. Wie alt mochten die Gebeine um ihn herum sein?
»Ist alles in Ordnung?«
Von oben kam Benediktas Stimme. Simon sah ihr besorgtes Gesicht in der Öffnung.
»Ich habe das Krachen gehört und bin sofort herübergekommen. Was ist passiert?«
Simon grinste. »Ich hätte wohl an Dreikönig nicht so sehr bei den Knödeln zulangen sollen. Durchgebrochen bin ichwie ein Sack Getreide.« Er wies auf die Grabplatten und die Knochen, die ihn umgaben. »Ein bisschen weniger Glück, und ich hätte mich gleich dazulegen können.«
Benedikta blickte in die Tiefe. Der Kellerboden befand sich ungefähr drei Schritt unterhalb der Kirche. »Wir werden einen Balken brauchen, an dem Ihr wieder hochklettern könnt«, sagte sie, während sie sich prüfend umsah.
Simon nickte. »Seht einmal rechts neben dem Altar. Ich glaube, dort liegen ein paar große Latten. Aber passt um Himmels willen auf! Sonst liegen wir gleich beide hier unten. «
Benedikta lächelte ihn an. »Wäre das das Schlechteste?«
Sie verschwand, und Simon hörte sie vorsichtig über den morschen Kirchenboden tappen. Während der Medicus auf Hilfe wartete, nahm er die Grabplatten näher in Augenschein. Lateinische Inschriften, die von den Namen der Verstorbenen kündeten. Steinerne Reliefs von Rittern in Rüstungen, liegend, stehend und zu Pferde. Auf einem Bild waren sogar zwei Ritter auf einem Pferd zu sehen. Der Medicus stutzte.
Zwei Ritter?
Etwas in Simon bahnte sich einen Weg, ein verschwommenes Bild, das bis soeben in seinem Unterbewusstsein geschlummert hatte. Hektisch zog er das kleine Brevier des Wilhelm von Selling, das er immer noch mit sich führte, aus der Rocktasche und blätterte darin. Etwa in der Mitte des Büchleins fand er die Lösung.
Zwei Ritter. Ein Pferd.
»Benedikta! Benedikta! «, rief er heiser vor Aufregung. »Ich glaube, ich habe etwas gefunden! Die Lösung des Rätsels, sie ist hier!«
Benediktas Gesicht tauchte wieder in der Öffnung auf. »Was?«
»Die Templer! «, rief Simon weiter. »Sie müssen hier gewesen sein! Hier unten ist eine Grabplatte der Templer! DasSiegel der Großmeister, es zeigte immer zwei Ritter auf einem Pferd. Es gibt eine alte Abbildung davon in Sellings Buch!«
Simon wedelte mit dem Brevier, während Benedikta einen schweren Balken vorsichtig nach unten schob.
»Für die Templer war das gemeinsame Reiten auf einem Pferd ein Zeichen großen Vertrauens, ein Sinnbild dafür, dass sie alles miteinander teilten. Deshalb haben sie es auch zu ihrem Siegel gemacht. Jetzt kann ich auch die Schrift erkennen!« Er ging ganz nahe an die Grabplatte und fuhr über die reliefartigen Buchstaben, die kreisrund am Rande der Grabplatte entlangliefen.
»Sigillum Militum Christi« , flüsterte Simon. »Siegel der Streiter Christi. Es ist tatsächlich ihr Zeichen.«
Benedikta war in der Zwischenzeit auf dem Balken in die Tiefe gerutscht und stand jetzt neben ihm.
»Wieder eine Grabplatte«,
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