Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Henker nicht. Die Räuber hatten das meiste davon offenbar schon wieder in Naturalien umgetauscht, oder sie hatten ihren Schatz irgendwo versteckt, was Kuisl jedoch bezweifelte. Die Wahrheit würde er ohne Zweifel in den Verliesen der Fronfeste erfahren. Der Henker hoffte, dass Hans Scheller sich vernünftig zeigte und er ihm nicht zentnerschwere Steine an die Füße binden musste, wie damals vor zwei Jahren dem Straßenräuber Georg Brandner. Dem hatte Kuisl sämtliche Knochen brechen müssen, bevor er ihm endlich erzählte, wo er die geraubten Münzen verscharrt hatte.
Unter einem verlausten Pelzmantel und einer Bärenfellkappe stieß der Henker schließlich auf ein zusammengebundenes Lederfutteral. Er öffnete es und musste lächeln. Das war genau das, was er jetzt brauchte! Offenbar hatten die Räuber irgendwann auch einmal einen Feldscher überfallen, oder einer von ihnen hatte das Wundbesteck aus seinem früheren Söldnerleben hinübergerettet. In dem Futteral lagen Nadel, Faden und Wundzangen, fein säuberlich aufgereiht in den verschiedenen Größen. Sie sahen noch nicht einmal sonderlich verrostet aus.
Jakob Kuisl zog mit den Zähnen den Korken aus der Branntweinflasche und nahm einen kräftigen Schluck. Dann krempelte er seinen linken Hemdsärmel hoch und tastete nach der Wunde. Die Kugel hatte Mantel, Lederkoller undHemd durchschlagen und war in den Oberarm eingedrungen. Glücklicherweise schien das Geschoss nicht den Knochen verletzt zu haben, doch Kuisl spürte, dass es noch im Fleisch steckte. Er klemmte sich ein Stück Leder zwischen die Zähne, das sich dankenswerterweise auch im Futteral befand, dann tastete er mit der Zange nach der Kugel.
Der Schmerz war so stark, dass ihm übel wurde. Er setzte sich auf die Truhe, atmete kurz durch und suchte dann weiter. Als er schon glaubte, ohnmächtig zu werden, stieß die Zange auf festen Widerstand. Vorsichtig zog er sie zurück und blickte auf ein kleines, verbogenes Stück Blei. Er nahm noch einen weiteren Schluck, bevor er sich den Rest der Flasche über die Wunde kippte. Noch einmal schien ihn der Schmerz zu übermannen, doch der Henker wusste, dass die meisten Soldaten nicht an den Kugeln starben, sondern am Wundbrand, der erst Tage später folgte. Im Krieg hatte er gelernt, dass Schnaps diesen Wundbrand stoppen konnte. Die meisten Feldscher empfahlen zwar, die Wunde auszubrennen oder heißes Öl hineinzugießen, doch Kuisl bevorzugte diese Methode. Er hatte bei einigen seiner Patienten schon gute Erfahrungen damit gemacht.
Schließlich verband er den Arm mit Stoff, den er vom Hemd eines toten Räubers abriss, und lauschte den Stimmen draußen. Die Männer schienen mit ihrer Arbeit fast fertig zu sein. Kuisl würde sie an die zwei Leichen in der Höhle erinnern müssen. Außerdem mussten sie noch die Truhe mitnehmen. Die Besitzer der geraubten Gegenstände verwesten wahrscheinlich irgendwo in den Schongauer Wäldern, doch das Geld konnte die Stadt gut brauchen. Allein schon, um dem Henker die bevorstehenden Hinrichtungen zu bezahlen. Jakob Kuisl nahm pro erhängten Räuber einen Gulden. Das Rädern brachte für jeden Stoß gleich vier Gulden, eine Folter vor der Exekution schlug mit zwei Gulden und dreißig Kreuzer zu Buche. Es war gut möglich, dass dem Räuberhauptmann Scheller genau dieses Schicksal blühte.
Gerade wollte Kuisl aufstehen, als er hinter der Truhe eine große, glänzende Ledertasche entdeckte. Sie war aus feinstem Kalbsleder gefertigt und trug an der Vorderseite einen Prägestempel, dessen Zeichen der Henker nicht kannte. Sollten die Räuber doch noch weitere Schätze gehortet haben? Kuisl holte die Tasche hervor und blickte hinein. Ihr Inhalt ließ ihn die Stirn runzeln.
Was in aller Welt...?
Nachdenklich stopfte er die Tasche in seinen Sack und ging auf den Höhlenausgang zu.
Er würde Hans Scheller noch einige Fragen stellen müssen. Kuisl hoffte für beide, dass sie der Räuberhauptmann schnell und ehrlich beantwortete.
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als Simon am Haus des Henkers unten im Gerberviertel anklopfte, das sich noch vor den Mauern der Stadt befand.
In der letzten Stunde war er mit Benedikta Koppmeyer im leichten Schneetreiben von der Peitinger Schlossruine nach Schongau zurückgestapft. Die Händlerin hatte sich gleich ins Semer-Wirtshaus begeben. Simon vermutete, dass sie sich noch um die morgige Beerdigung ihres Bruders kümmern musste, außerdem schien sie erschöpft zu sein. Auch der Medicus
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