Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Tagesreise von hier. Die Mönche hüten es in einem Schrein, wie eine Reliquie.«
Simons Mund war plötzlich trocken. »Ist dieses Gebet mehr als dreihundert Jahre alt?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Sicher. Sogar noch viel älter.« Elias Ziegler blickte plötzlich besorgt. »Ist Euch nicht gut? Ihr seid so blass.« »Doch, doch, es ist nur …«
Benedikta lächelte den Pfarrer mitfühlend an. »Er hat meinen Bruder sehr gemocht, müsst Ihr wissen. Es ist wohl alles ein wenig viel für ihn in letzter Zeit.«
Elias Ziegler nickte andächtig. »Für wen gilt das nicht?«, sagte er. Dann wandt er sich den nächsten Kondolenzgästen zu.
Simon blieb noch kurz neben Benedikta stehen. »Das Wessobrunner Gebet«, zischte er. »Ich hätte es wissen müssen! Also befindet sich der Schatz im Kloster Wessobrunn.«
»Oder das nächste Rätsel«, flüsterte Benedikta, während sie den Kopf weiter geradeaus hielt und tröstende Worte der Trauergäste entgegennahm. »Auf alle Fälle müssen wir nach Wessobrunn. Ich hoffe, Ihr könnt mittlerweile ein wenig besser reiten.« Ein Schmunzeln ging über ihr Gesicht. »Sonst werden wir wohl niemals erfahren, ob es den Schatz dieses Templers wirklich gibt.«
Simon lächelte zurück, doch in seinem Inneren blieb ein schales Gefühl. Der Steingadener Abt hatte einen Verdacht gesät, der in ihm Wurzeln schlug. Mit einem Kopfnicken verabschiedete er sich und verließ die kalte Basilika.
Der Junge führte Magdalena durch die engen Gassen Augsburgs hinunter ins Weberviertel. Kleine vereiste Kanäle zogen sich am Rand der gepflasterten Straßen entlang. Immer wieder waren Mühlräder zu sehen, die die Webstühle derWeber in der wärmeren Jahreszeit antrieben, nun aber, übersät mit Eiszapfen, starr aus der Eisdecke der verzweigten Bäche ragten. In den meisten Häusern befanden sich keine Fenster, sondern nur winzige Luken; Magdalena hatte das Gefühl, das aus jeder von ihnen ein Augenpaar hinter ihnen herstarrte.
Jetzt nach Einbruch der Dunkelheit war sie mit dem Jungen alleine auf den Straßen unterwegs. Immer wieder blickte sie sich um, ob die beiden Schläger nicht hinter der nächsten Ecke auftauchten.
Endlich hatten sie ein größeres Haus erreicht, das direkt an die Stadtmauer grenzte. Mit seiner weiß getünchten Steinmauer, den grünen Fensterläden und der wuchtigen Holztür wirkte es neben den windschiefen Baracken der Weber fast elegant, wenn es auch lange nicht so prächtig war wie die dreistöckigen Paläste in der Nähe des Rathauses. Magdalena konnte kaum glauben, dass dies das Haus des Henkers sein sollte, doch der Junge blieb stehen und klopfte. Schon nach kurzer Zeit waren Schritte zu hören, eine Luke neben der Tür öffnete sich. Das bärtige Gesicht eines Mannes war zu sehen. Als er mit einer Laterne nach draußen leuchtete, konnte Magdalena einen rotblonden Vollbart und zwei im trüben Licht glitzernde Augen erkennen. Misstrauisch blickte der Mann auf Magdalena und den Jungen hinunter.
»Keine Kundschaft mehr heut«, brummte er. »Kommt’s morgen wieder, wenn’s nicht am Verrecken seid’s.«
Der Junge schlug ein Kreuz, murmelte ein kurzes Stoßgebet und verschwand mit einem Satz in der Dunkelheit. Magdalena starrte den Henker an, der noch immer hinter der Luke stand. Er schien sie noch nicht erkannt zu haben.
»Bist du taub, oder was?« Die Stimme des Mannes bekam etwas Drohendes. »Verschwinden sollst, aber schnell, sonst mach ich dir Beine, verruchte Dirn!«
Er wollte die Luke schon wieder schließen, als Magdalena das Wort an ihn richtete.
»Ich bin’s, die Kuisl-Magdalena aus Schongau. Erkennst mich nicht?«
Die Augen des Henkers blitzten vor Erstaunen auf, dann öffnete er die Tür. Licht fiel aus der Stube auf seinen mächtigen Körper.
Philipp Hartmann war beinahe so groß wie der Schongauer Henker. Er hatte eine rotblonde Mähne, die gemeinsam mit dem Bart ein zerfurchtes Gesicht umrahmte. Seine Arme waren breit wie Buchenstämme, und er schob einen gewaltigen Bauch vor sich her. Man hätte ihn für einen Tagelöhner oder einen gedungenen Schläger halten können, doch sein Hemd, unter dem sich die dichten Brusthaare kräuselten, war aus feinstem Barchent, und der schwarze Rock darüber zeigte keinen einzigen Flicken. Philipp Hartmanns Augen waren kleine schmale Schlitze, die ihr Gegenüber sehr genau musterten. Die Augen eines klugen, aber auch äußerst ehrgeizigen Mannes.
Endlich verzog sich sein Gesicht zu einem Grinsen.
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