Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Johann Lechner hielt es kaum noch auf dem Stuhl. »Soll das heißen, da draußen treibt sich noch ein zweiter Haufen herum?«
Der Henker begann umständlich, seine Pfeife zu stopfen. »Die ganzen Überfälle in letzter Zeit, vom Hohen Peißenberg bis hinüber ins Landsberger Land, das kann nicht bloß eine einzige Bande gewesen sein. Ich glaub dem Scheller. Lasst mich auch die anderen aufspüren; den Räuberhauptmann und seine Männer hänge ich Euch noch am Tag drauf, wenn’s sein muss. Dafür wissen wir dann, wo die Beute versteckt ist, und im Pfaffenwinkel kehrt endlich Frieden ein.«
Lechner sah den Henker prüfend an. »Und wenn ich auf dem Rädern bestehe?«, fragte er schließlich.
Kuisl zündete seine Pfeife an. »Dann könnt Ihr Eure Räuber alleine suchen. Ich bezweifle allerdings, dass Ihr sie findet. Nur ich kenn ihre möglichen Verstecke.«
»Du drohst mir? « Lechners Stimme war plötzlich kalt wie ein Morgen im Januar.
Jakob Kuisl lehnte sich zurück und ließ kleine Rauchringe zur Decke steigen. »Drohen würd ich nicht sagen. Es ist eher... eine Abmachung.«
Lange Zeit war nichts zu hören als das Klopfen von Lechners Fingern auf der Tischplatte.
»Also gut«, sagte der Schreiber endlich. »Du fängst mir diese anderen Räuber, und dafür wird der Scheller meinetwegen gehängt und nicht gerädert. Zuvor muss er uns allerdings sagen, wo er die Beute versteckt hat.«
»Die Frauen und Kinder kommen frei«, sagte der Henker leise. »Auspeitschen und Verbannung aus der Stadt. Das muss reichen.«
Lechner seufzte. »Was soll’s. Sind wir eben mal human.« Er beugte sich nach vorne. »Aber einen Gefallen musst du mir dafür noch tun. «
»Welchen?«
»Mach die verdammte Pfeife aus. Dieser ekelhafte Rauch kommt direkt aus der Hölle. In München und Nürnberg haben sie diese Unsitte schon vor Jahren verboten. Und wenn das so weitergeht, werde ich das Rauchtrinken auch hier in Schongau unter Strafe stellen, dann kannst du dich selbst auspeitschen.«
Der Henker grinste. »Wie Ihr befehlt.«
Er löschte die Pfeife mit seinem Daumen und begab sich zur Tür.
»Ach, Kuisl.« Die Stimme des Schreibers ließ den Henker innehalten.
»Ja?«
»Warum machst du das?«, fragte Lechner und sah ihn misstrauisch an. »Du hättest für das Rädern einen Batzen Geld bekommen. Das Zehnfache von dem, was du für das Hängen kriegst. Warum also? Wirst du auf deine alten Tage plötzlich weich, oder steckt etwas anderes dahinter?«
Jakob Kuisl zuckte mit den Schultern. »Wart Ihr im Krieg?«, fragte er schließlich.
Lechner wirkte irritiert. »Nein, warum willst du das wissen?«
»Ich hab schon genug Männer schreien gehört. Lieber schlag ich ein wenig bei den Arzneien drauf.«
Ohne ein weiteres Wort ging der Henker nach draußen und schloss die Tür.
Drinnen fuhr der Schreiber mit dem Sichten der Dokumente fort, aber er konnte sich nicht recht konzentrieren. Er würde diesen Kuisl nie verstehen. Aber sei’s drum. Er hatte dem mächtigen Boten versprochen, den Henker längerfristig aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn es noch eine zweite Räuberbande gab, umso besser. Das würde Zeit kosten. Und immerhin sparte Lechner sich nun ganze sechzehn Gulden fürs Rädern, für jeden Radstoß zwei. Von der Beute ganz abgesehen, die würde zusätzliches Geld in den Stadtsäckel spülen.
Zufrieden setzte er seine schwungvolle Unterschrift unter ein weiteres Dokument. Man konnte ja immer noch den Anführer der zweiten Räuberbande rädern. Der Gerechtigkeit wegen.
Nervös trommelte Simon auf die Lehne der Kirchenbank und wartete auf das letzte Amen von Elias Ziegler. Am liebsten wäre er während der Messe aufgesprungen, nach vorne gerannt und hätte den versoffenen Pfarrer zur Rede gestellt. Auch Benedikta rutschte unruhig hin und her. Gleich nachdem Ziegler das Rätsel aus der Schlosskrypta in seiner Predigt erwähnt hatte, hatte sie sich mit offenem Mund zu Simon umgedreht. Doch es dauerte noch zwei lateinische Gebete und ein, wie Simon fand, endloses Kyrieeleison, bis der Gottesdienst endlich vorbei war.
Die Altenstadter Bürger stellten sich nun zur Kondolenz an. Benedikta hatte auf einem kleinen hölzernen Schemel neben ihrem aufgebahrten Bruder Platz genommen. Der Pfarrer stand daneben und nickte den Gästen salbungsvoll zu, während sie den Sarg abschritten und Benedikta ihr Beileid aussprachen. Manche legten eine getrocknete Blume in den Sarg, schlugen ein Kreuz oder machten mit den Fingern eine Geste, die
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