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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Rosenkränze gebetet, aber auch das hat nicht geholfen.«
    Simon machte ein nachdenkliches Gesicht. Plötzlich erhellte sich seine Miene.
    »Nun, ich habe vielleicht etwas, das dir helfen könnte. Ein Pulver aus Westindien ...« Er zog ein Säcklein hervor und blickte besorgt nach oben zum Himmel. »Man muss es allerdings nehmen, solange die Mittagssonne über einem steht. Es ist also fast schon zu spät.«
    Der Büttel Georg hustete ein weiteres Mal und griff nach dem Säckchen.
    »Ich nehm’s, Herr. Jetzt gleich. Was soll es kosten?« Simon reichte ihm die Arznei.
    »Für dich nur fünf Kreuzer. Du musst es allerdings in Branntwein auflösen, sonst wirkt es nicht. Hast du Branntwein?«
    Georg fing zu grübeln an. Der Medicus glaubte schon, dass er ihm auf die Sprünge helfen müsste, als sich das Gesicht des Büttels doch noch aufhellte.
    »Ich kann Branntwein besorgen. Drüben im Wirtshaus.«
    Simon nickte und nahm das Geld.
    »Ein guter Gedanke, Georg. Lauf nur schnell hinüber. Bist ja gleich wieder da. «
    Georg machte sich auf den Weg, während die zweite Wache unschlüssig auf ihrem Posten stand. Simon sah den Mann nachdenklich an.
    »Hast du auch Husten?«, fragte er. »Du siehst so blass aus. Schmerzen in der Brust?«
    Der Wachmann schien kurz zu überlegen, dann blickte er zu seinem Kollegen hinüber, der gerade im Wirtshaus verschwand. Schließlich nickte er.
    »Dann lauf ihm nach, dass er mehr Branntwein besorgt«, sagte Simon. »Ihr müsst es in mindestens jeweils einem Becher lösen, besser in zwei.«
    In dem Büttel rang Pflichtbewusstsein mit der Aussicht auf ein, zwei Becher Branntwein, noch dazu aus medizinischen Zwecken. Endlich stapfte er seinem Freund hinterher.
    Simon grinste. Er hatte vom Henker bereits einiges gelernt. Für was doch so ein Beutelchen mit Tonerde alles taugte!
    Der Medicus wartete noch einen Moment, bis die beiden außer Sichtweite waren. Dann sah er sich vorsichtig um. Der Marktplatz war leer. Schnell öffnete er die große Tür einen Spaltbreit und schlüpfte ins Innere.
    Der Geruch von Gewürzen und muffigem Leinen schlug ihm entgegen. Sonnenlicht fiel in schmalen Streifen durch die vergitterten, großen Fenster. In der Halle war es bereits dämmrig; die aufeinandergestapelten Säcke und Kisten lagen wie unförmige, schlafende Riesen an der Wand, wo sich bereits die Schatten ausbreiteten. Eine Ratte huschte aufgeschreckt hinter einer Kiste hervor und verschwand im Dunkeln.
    Simon schlich die breite Treppe nach oben und horchte an der Tür zum Ratszimmer. Als er kein Geräusch hörte, öffnete er sie vorsichtig. Der Raum war leer. Die Stühle rund um den großen Eichentisch waren zurückgeschoben, halb gefüllte Weinkaraffen und Kristallgläser standen darauf. In der Ecke thronte ein gewaltiger Ofen mit grünen, teils bemalten Kacheln. Simon hielt seine Hand daran, der Ofen war noch heiß. Es sah aus, als hätten die Ratsherrennur für eine kurze Unterbrechung die Stube verlassen und würden jeden Moment zurückkehren.
    Simon schlich durch den Raum und bemühte sich, die Dielen nicht knarzen zu lassen. An der Ostwand hing ein vergilbtes Ölgemälde, das die Schongauer Ratsherren versammelt am Eichentisch zeigte. Er sah es sich genauer an. Auf den ersten Blick erkannte er, dass es älter sein musste. Die Männer darauf trugen Halskrausen, wie sie vor einigen Jahrzehnten üblich gewesen waren. Die Röcke waren steif, schwarz und bis oben hin zugeknöpft. Die Gesichter mit den streng geschnittenen Spitzbärten blickten ernst und nichtssagend. Trotzdem glaubte er, einen der Männer zu erkennen. Der Ratsherr in der Mitte mit den stechenden Augen und dem angedeuteten Lächeln musste Ferdinand Schreevogl sein. Simon erinnerte sich, dass der alte Schreevogl früher einmal Erster Bürgermeister der Stadt gewesen war. Der Patrizier hielt ein eng beschriebenes Dokument in der Hand. Den Mann neben ihm meinte Simon auch zu kennen. Nur woher? Er überlegte, kam aber beim besten Willen nicht auf den Namen. Er war sich sicher, dass er ihn irgendwo in letzter Zeit gesehen hatte, nun allerdings viel älter.
    Da hörte er unten auf dem Marktplatz plötzlich Stimmen und Gelächter. Die beiden Büttel hatten sich offensichtlich an sein Rezept gehalten. Er grinste. Gut möglich, dass sie die Medizin sogar ein wenig zu hoch dosiert hatten.
    Simon schlich weiter durch die Ratsstube. Als er an den Bleifenstern vorbeikam, duckte er sich, um von außen nicht gesehen zu werden. Endlich hatte er die

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