Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
Vom Netzwerk:
kleine Tür zum Archiv erreicht. Er drückte die Klinke hinunter.
    Sie war verschlossen.
    Leise fluchend schalt er sich selbst für seine Dummheit.Wie hatte er nur so naiv sein können zu glauben, diese Tür sei offen? Natürlich hatte sie der Gerichtsschreiber zugesperrt! Schließlich führte sie in sein Allerheiligstes.
    Simon wollte schon wieder umkehren, als er noch einmal nachdachte. Johann Lechner war ein zuverlässiger Mann. Er musste dafür sorgen, dass zumindest die vier Bürgermeister Zutritt zum Archiv bekamen, auch wenn er einmal nicht da war. Hatte also jeder dieser Bürgermeister einen Schlüssel? Das war eher unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher war, dass der Schreiber den Schlüssel hier für die anderen aufbewahrte. Nur wo?
    Simons Blick glitt über die Zirbelholzdecke mit den geschnitzten Schriftrollen, den Tisch, die Stühle, die Weinkaraffen ... Es gab keinen Schrank und keine Truhe. Der einzige größere Einrichtungsgegenstand war der Kachelofen, ein Ungetüm, bestimmt zwei Schritt breit und fast bis zur Decke reichend. Simon ging darauf zu und betrachtete ihn genauer. In einer Reihe ungefähr auf halber Höhe des Ofens waren auf den bemalten Kacheln Szenen aus dem Landleben abgebildet. Ein Bauer mit Pflug, ein weiterer Bauer beim Säen, Schweine und Kühe, eine Gänsemagd … In der Mitte der Reihe befand sich eine Fliese, die anders aussah als die übrigen. Sie zeigte einen Mann mit dem typischen weiten Hut und der Halskrause eines Ratsherren. Er saß auf einem Nachttopf, aus dem Papierrollen quollen. Simon klopfte gegen die Kachel.
    Sie klang hohl.
    Der Medicus nahm sein Stilett, fuhr in die Ritze und hebelte die Kachel heraus. Leicht glitt sie in seine Hand. Dahinter befand sich eine winzige Nische, in der etwas glitzerte. Simon lächelte. Soviel er wusste, hatte der alte Schreevogl noch in seiner Zeit als Bürgermeister diesen Ofen bauen lassen. In der Gilde der Hafner hatte er alswahrer Künstler gegolten. Jetzt zeigte sich einmal mehr, dass er auch Sinn für Humor gehabt hatte. Ein Ratsherr, der Akten schiss ... Ob Johann Lechners Vater, der damalige Gerichtsschreiber, sich in der Zeichnung wiedererkannt hatte?
    Der Medicus nahm den kupfernen Schlüssel heraus, passte die Kachel mit dem Ratsherren wieder ein und ging zurück zur Tür, die ihn vom Archiv trennte. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Leise quietschend schwang die Türe nach innen auf.
    Der Raum dahinter roch nach Staub und altem Pergament. Nur ein kleines vergittertes Fenster ging hinaus zum Marktplatz. Eine weitere Tür gab es nicht. Durch das Fenster fiel die Nachmittagssonne, Staubkörnchen schwebten im Licht. Der Raum war nahezu leer. An der Rückwand standen ein kleiner, schmuckloser Eichentisch und ein wackliger Stuhl. Über die gesamte linke Seite zog sich ein riesiger Schrank, der fast bis zur Decke reichte. Er enthielt unzählige kleine Schubladen, aus denen Dokumente hervorquollen. In den größeren Regalen lehnten schwere, in Leder gebundene Folianten. Auch auf dem Tisch lagen einige Bücher und lose Seiten, daneben ein halbvolles Tintenglas, ein Gänsekiel und eine heruntergebrannte Kerze.
    Simon stöhnte leise. Das hier war das Reich des Gerichtsschreibers. Für ihn hatte sicher alles eine Ordnung, für den Medicus war es nur ein unübersichtliches Sammelsurium aus Pergamentrollen, Dokumenten und Folianten. Die sogenannten Stadtbücher waren keine Bücher, sondern ein riesiger Zettelkasten. Wie sollte er hier nur einen Grundstücksplan finden?
    Simon näherte sich dem Schrank. Jetzt erst erkannte er, dass auf die Schubladen Buchstaben aufgemalt waren. Scheinbar sinnlos waren sie über die Regalreihen verteilt.
    Abkürzungen, die vermutlich nur dem Schreiber und vielleicht den Mitgliedern des Inneren Rats vertraut waren. RE, MO, ST, CON, PA, DOC …
    Bei der letzten Abkürzung stutzte Simon. Das lateinische Wort für Urkunde war Documentum . Sollten sich in dieser Schublade auch Schenkungsurkunden befinden? Er zog die Schublade heraus. Sie war über und über mit versiegelten Briefen gefüllt. Schon ein erster Blick zeigte ihm, dass er recht gehabt hatte. Alle Briefe trugen das Siegel der Stadt und waren von hochrangigen Bürgern unterzeichnet. Es gab Testamente, Kaufverträge und eben Schenkungen, darunter Geld, Naturalien und Grundstücke von Bürgern, die ohne Nachkommen verstorben waren. Weiter unten folgten neuere Dokumente, die alle die Stadtpfarrkirche als Empfänger führten.

Weitere Kostenlose Bücher