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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Hinterkopf. Der Mann am Boden neben ihr musste sich aufgerappelt und sie mit einem Ast oder Ähnlichem erwischt haben. Kopfschmerzen schossen wie Pfeile nach vorne in die Stirn. Kurz glaubte sie, blind zu werden. Dann kam das Sehvermögen wieder zurück. Sie taumelte nach vorne, glitt aus und spürte, wie sie plötzlich den Hang hinunterrollte. Zweige und Disteln verfingen sich in ihren Haaren. Sie schmeckte Dreck und Gras. Dann kam sie wieder auf die Beine und stolperte ins Unterholz hinein. Hinter ihr ertönten Schreie und schnelle Schritte, die näher kamen.
    Als sie im Schutz der niedrigen Büsche auf die nebligen Felder zurannte, spürte sie, wie die Erinnerung an den gestrigen Tag zurückkehrte.
    Sie sah alles wieder genau vor sich.
    Trotz der Schmerzen und der Angst musste sie lachen. Mit beiden Verfolgern im Nacken lief sie um ihr Leben. Sie kicherte und weinte gleichzeitig. Die Lösung war so einfach. Schade, dass sie sie vermutlich niemand mehr mitteilen konnte.
     
    Der Rauch wurde stärker. Simon musste immer wieder husten. Schwaden zogen in den Gang und verhüllten Sophie, die mit ihm gemeinsam Stein für Stein vom Eingangwegtrug. Sie hatten sich nasse Tücher vors Gesicht gebunden, aber die halfen nicht viel. Simons Augen brannten. Er musste immer wieder innehalten und sich übers Gesicht wischen. Wertvolle Zeit, die verloren ging. Immer wieder blickte er zu Clara hinüber, die sich in der steinernen Nische in Fieberkrämpfen hin und her wälzte. Für das kranke Mädchen musste der Rauch die Hölle sein.
    Der Henker war schon vor längerer Zeit verschwunden. Außer ihrem eigenen Keuchen und Husten war nichts mehr zu hören. Das zunächst nur faustgroße Loch war beträchtlich gewachsen. Simon betrachtete es mit zunehmender Ungeduld. Die schmächtige zwölfjährige Sophie hätte sich vermutlich bereits durchschieben können, doch für ihn selbst reichte es noch nicht. Als der Medicus einen besonders großen Stein zur Seite stemmte, brach die mühsam geschaffene Öffnung wieder ein und sie mussten von vorne anfangen. Endlich war das Loch breit genug, dass er auch Clara problemlos hindurchbugsieren konnte. Ein frischer Luftzug kam von der anderen Seite herüber. Simon sog sich damit die Lungen voll, dann eilte er hinüber zu Clara in die Kammer und hob sie hoch.
    Das Mädchen war leicht wie ein Bündel trockenes Holz. Trotzdem hatte er Schwierigkeiten, sie durch das Loch zu zwängen.
    »Ich geh voran und sehe, ob der Gang weiterführt«, sagte er atemlos zu Sophie, als er feststellen musste, dass er so nicht weiterkam. »Wenn ich durchgekrochen bin, ziehe ich Clara hindurch und du schiebst von hinten. Wir müssen sie ein wenig anheben, damit sie nicht über den steinigen Boden schrammt. Hast du verstanden?«
    Sophie nickte. Ihre Augen waren rußige Schlitze zwischen den staubigen Haaren und dem Tuch über ihrem Mund. Wieder einmal bewunderte Simon ihre Ruhe. Abervielleicht war es auch nur der Schock. Dieses Mädchen hatte in den letzten Tagen zu viel Schlimmes gesehen.
    Das Loch, das sie gegraben hatten, war gerade so groß, dass Simon mit den Schultern hindurchpasste. Irgendwann einmal musste der Gang an dieser Stelle eingestürzt sein. Der Medicus betete, dass er jetzt nicht noch einmal nachgab. Er biss die Zähne zusammen. Was hatte er schon für Alternativen? Hinter ihm waren Feuer, Rauch und ein wahnsinniger Söldner. Dagegen war ein eingestürzter Gang fast noch harmlos.
    Er schob die Laterne vor sich her, bis er spürte, dass sich der Gang wieder verbreiterte. Kurz leuchtete er umher. Der Tunnel ging hier tatsächlich weiter. Er war so hoch, dass er gebückt laufen konnte. Wieder befanden sich in regelmäßigen Abständen rußige kleine Nischen in der Wand. Nach einigen Schritten krümmte der Gang sich und war nicht weiter einzusehen. Frische Luft wehte zu ihm herüber.
    Schnell wendete Simon sich wieder um und blickte zurück durch das Loch.
    »Du kannst die Clara jetzt in die Öffnung schieben«, rief er Sophie zu.
    Am anderen Ende des Lochs hörte er Ächzen und Scharren. Dann war Claras Kopf zu sehen. Das Mädchen lag auf dem Bauch, das blasse Gesicht seitwärts. Sie war immer noch ohnmächtig und schien von alledem nichts mitzubekommen. Simon strich ihr übers verschwitzte Haar.
    Wahrscheinlich ein Segen für das Kind. Sie wird denken, alles sei ein böser Traum.
    Schließlich packte er Clara bei den Schultern und zog sie vorsichtig auf seine Seite. Obwohl er sich Mühe gab, streifte ihr Kleid

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