Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
Vom Netzwerk:
Jakob Kuisl. Doch die Augen des Schreibers sagten ihm, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. Was sollte er tun? Wenn nichts Unvorhergesehenes geschah, würde er die Stechlin heute noch foltern müssen. Es sei denn …
    Es sei denn, die Zeugen kämen zu einem anderen Urteil.
    Kuisl wusste aus Erfahrung, dass es sich geladene Ratsherren bei Befragungen oft nicht nehmen ließen, selbst einzugreifen. Gegebenenfalls brachen sie das Verhör auch vorzeitig ab, falls sie das Gefühl hatten, dass trotz der Folter kein Ergebnis erzielt wurde.
    Er warf einen Blick auf die drei Ratsherren. Der Bäcker Michael Berchtholdt und der junge Schreevogl waren ihm bekannt, aber der dritte …
    Schreiber Johann Lechner folgte dem Blick des Henkers. »Ratsmitglied Matthias Augustin als dritter Zeuge ist krank«, sagte er beiläufig. »Er schickt seinen Sohn Georg.«
    Kuisl nickte, während er die drei Zeugen gründlich musterte.
    Michael Berchtholdt war ein Geiferer vor dem Herrn, der mit Freuden einer Folterung zusah und überzeugt war, dass Martha Stechlin als Hexe brennen musste. Schon jetzt maß er sie mit bösen und gleichzeitig ängstlichen Blicken, als ob die Hebamme ihn auch aus der Entfernung in eine Ratte verhexen konnte. Der Henker grinste verstohlen, als er den kleinen, dürren Mann mit seinen vorBranntwein rotgeränderten Augen betrachtete. Mit seinem grauen Mantel und der zerzausten Pelzhaube ähnelte er wirklich einer der Mäuse, die des Nachts durch seine Backstube huschten.
    Der junge Schreevogl, der hinter dem Bäcker den Kerker betreten hatte, galt als würdiger Nachfolger seines Vaters im Rat, wenn auch gelegentlich als etwas aufbrausend. Kuisl hatte von anderen Ratsmitgliedern erfahren, dass er nicht an die Schuld der Stechlin glaubte.
    Ein Punkt für uns …
    Jakob Kuisl musterte den Spross von Schongaus mächtigster Hafnerfamilie. Mit leicht gekrümmter Nase, hoher Stirn und blasser Gesichtsfarbe sah er aus, wie der Henker sich einen leibhaftigen Patrizier vorstellte. Hafner fertigten Geschirr und Kachelöfen an. Die Schreevogls besaßen eine kleine Manufaktur im Ort, wo von sieben Gesellen Krüge, Teller und Kacheln hergestellt wurden. Der alte Ferdinand Schreevogl hatte sich von ziemlich weit unten hochgearbeitet und immer als etwas wunderlich gegolten. Berühmt waren seine Schmähzeichnungen auf einigen der Kacheln, mit denen er Kirche, Rat und Großbauern aufs Korn nahm.
    Nach seinem Tod im letzten Jahr schien es nun, als ob sein Sohn das Erbe nicht verprasste, sondern gezielt investierte. Erst letzte Woche hatte er wieder einen neuen Mann angestellt. Nur unwillig hatte der junge Schreevogl akzeptiert, dass sein Vater das Grundstück an der Hohenfurcher Steige der Kirche vermacht hatte. Dort sollte nun das Siechenhaus entstehen.
    Der Hafnersohn gehörte zu den wenigen Männern im Ort, die mit dem Henker gelegentlich ein Wort wechselten. Auch jetzt nickte er ihm kurz zu. Ein schmales, ermunterndes Lächeln ging über seine Lippen.
    Den dritten Zeugen, Georg Augustin, konnte Kuisl nurschwer einschätzen. Der junge Augustin galt als Lebemann und war bislang im fernen Augsburg und in München tätig gewesen, wo er nach Auskunft seines Vaters Geschäfte mit dem Hof führte. Die Augustins waren in Schongau eine mächtige Dynastie von Rottfuhrleuten, und das strahlte auch Georg aus. Gekleidet wie ein Stutzer mit Federhut, Pluderhose und Stulpenstiefeln, ging sein Blick durch den Henker hindurch. Interessiert musterte er die Hebamme, die sich zitternd in ihren Mantel schmiegte und die blau gefrorenen Zehen aneinanderrieb. Die Steinmauern des Kerkers waren auch jetzt im April noch kalt wie Eis.
    »Wir wollen anfangen.« Die Stimme des Gerichtsschreibers schnitt durch die Stille, die bis eben angedauert hatte. »Lasst uns in den Keller gehen.«
    Die Büttel öffneten eine Falltür im Erdgeschoss. Eine Treppe führte nach unten in einen verrußten Raum aus grob gehauenen Steinquadern. Links in der Ecke stand eine fleckige Streckbank mit einem Holzrad an der Kopfseite. Daneben befand sich die Glutpfanne, in der einige Zangen unterschiedlicher Größe seit Jahren vor sich hinrosteten. Mit Eisenringen versehene Steinblöcke lagen verstreut über den Boden. Von der Decke baumelte ein Haken mit Ketten. Schon gestern hatte ein Büttel Daumenschrauben und weitere Kneifzangen aus dem Ballenhaus hergebracht und achtlos in eine Ecke geworfen; in einem anderen Winkel stapelten sich morsche Holzstühle. Die Folterkammer machte

Weitere Kostenlose Bücher