Die Henkerstochter
Hilfe!«
»Ach was, der Teufel ist aus ihr herausgefahren, das ist es!«, sagte der Bäcker Berchthold und fiel auf die Knie. »Bestimmt ist er noch irgendwo hier im Raum. Ave Maria, der Herr ist mit dir …!«
»Henker! Du weckst diese Frau jetzt wieder auf! Verstanden?« Die Stimme des Schreibers hatte etwas Schrilles angenommen. »Und ihr ...« Er wandte sich an die verängstigten Büttel hinter ihm. »Ihr bringt mir einen Medicus, aber schnell!« Die Büttel rannten die Treppe nach oben, erleichtert, von diesem Ort der Hölle fliehen zu können.
Jakob Kuisl nahm einen Eimer Wasser, der in der Ecke stand, und goss ihn über das Gesicht der Hebamme. Sie zeigte keinerlei Regung. Dann begann er ihre Brust zu massieren und ihre Wange zu tätscheln. Als alles nichts half, griff er in die Truhe hinter sich und zog ein Fläschchen Branntwein hervor, das er der Stechlin einflößte. Den Rest verteilte er auf ihrer Brust und begann zu kneten.
Nur Minuten später waren Schritte auf der Treppe zu hören. Die Büttel kamen zurück, im Schlepptau Simon Fronwieser, den sie draußen auf der Straße getroffen hatten. Er beugte sich neben dem Henker hinunter zur Hebamme und zwickte ihr in den Oberarm. Dann holte er eine Nadel hervor und stach ihr tief ins Fleisch. Als sie sichimmer noch nicht rührte, hielt er ihr einen kleinen Spiegel unter die Nase. Der Spiegel beschlug.
»Sie lebt«, sagte er zu Johann Lechner. »Aber sie ist in einer tiefen Ohnmacht, und Gott allein weiß, wann sie daraus erwachen wird.«
Der Gerichtsschreiber ließ sich in den Stuhl fallen und rieb seine graumelierten Schläfen. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Dann können wir sie nicht weiter befragen, wir müssen warten.«
Georg Augustin sah ihn erstaunt an. »Aber der kurfürstliche Pfleger ... Er wird in ein paar Tagen hier auftauchen, wir müssen ihm einen Schuldigen präsentieren!«
Auch Michael Berchtholdt redete auf den Schreiber ein: »Wisst Ihr, was da draußen los ist? Der Teufel geht um, wir haben es selber gerade erlebt. Die Leut wollen, dass Schluss ist ...«
»Verdammt!« Johann Lechner hieb mit der Hand auf den Tisch. »Das weiß ich selbst! Aber momentan können wir die Befragung eben nicht fortführen. Aus der bringt nicht mal der Teufel ein Wort raus! Wollt ihr, dass eine Ohnmächtige gesteht? Wir müssen warten! Und jetzt alle nach oben, alle!«
Simon und Jakob Kuisl trugen die ohnmächtige Hebamme zurück in ihre Zelle und deckten sie zu. Ihr Gesicht war nicht mehr blau, sondern kalkweiß, die Lider flatterten, aber ihr Atem ging ruhig. Simon sah den Henker von der Seite an.
»Das wart doch Ihr, oder?«, fragte er. »Ihr habt ihr irgendwas gegeben, damit die Folter aufhört und wir Zeit gewinnen. Und dann habt Ihr mich über Eure Frau gebeten, ab Mittag draußen zu warten. Dass die Büttel mich holen und nicht meinen Vater, der vielleicht etwas merken könnte ...«
Der Henker lächelte. »Ein paar Pflanzen, ein paar Beeren ... Sie kannte sie alle, sie wusste, auf was sie sich einlässt. Es hätt auch danebengehen können.«
Simon blickte auf das bleiche Gesicht der Hebamme. »Ihr meint ...?«
Jakob Kuisl nickte. »Wurzeln von der Alraune, es gibt nichts Besseres. Ich ... wir haben glücklicherweise noch welche gefunden. Sie sind sehr selten. Du spürst keinen Schmerz, der Körper erschlafft, die Leiden des Diesseits sind nur Schemen an einem fernen Ufer. Schon mein Vater hat diesen Trank öfter den armen Sündern eingeflößt. Allerdings ... «
Er rieb sich nachdenklich den dunklen Bart.
»Vom Eisenhut hab ich diesmal fast zu viel genommen. Ich wollte, dass es echt aussieht, auch zum Schluss hin. Ein Quäntchen mehr, und der Herrgott hätte sie zu sich geholt. Nun gut, so haben wir jetzt wenigstens ein bisschen Zeit gewonnen.«
»Wie lange?«
Der Henker zuckte mit den Schultern. »Ein oder zwei Tage, dann lassen die Lähmungen nach, und sie kann wieder die Augen öffnen. Und dann ...« Er streichelte der schlafenden Martha Stechlin noch einmal übers Gesicht, bevor er den Kerker verließ.
»Dann, glaub ich, werd ich ihr sehr weh tun müssen«, sagte er. Sein Rücken füllte den ganzen Türrahmen aus.
9
Samstag,
den 28. April Anno Domini 1659,
9 Uhr morgens
A m nächsten Morgen saßen Medicus und Henker bei zwei Humpen Dünnbier in der Stube der Kuisls und grübelten über die vergangenen Tage. Simon hatte die ganze Nacht über an die ohnmächtige Hebamme gedacht und daran, wie wenig Zeit ihnen noch
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