Die Henkerstochter
Gerichtsschreiber. »Ein wichtiger Bestandteil der Flugsalbe, mit der die Hexen ihre Besen einstreichen.«
Jakob Schreevogl zuckte mit den Schultern. »Mein Vater hat damit auch sein Bier gewürzt. Und Ihr werdet ihn, der Herrgott hab ihn selig, doch nicht als Hexer bezeichnen wollen.«
»Seid Ihr blind?«, zischte Lechner. »Die Beweise sind doch offenkundig. Hier ...! « Er hielt eine stachlige Kapsel empor, die einer Kastanie ähnelte. »Ein Stechapfel! Auch Ingredienz für die Hexensalbe, auch bei der Stechlin gefunden! Und hier ...! « Er zeigte einen Strauch weißer, kleiner Blüten herum. »Christrosen, frisch gesammelt! Auch so ein Hexenkraut!«
»Verzeiht, wenn ich Euch unterbrech’«, meldete sich JakobSchreevogl erneut zu Wort. »Aber ist die Christrose nicht auch eine Pflanze, die uns vor dem Bösen schützen soll? Selbst unser Herr Pfarrer hat sie jüngst in der Predigt gelobt als Zeichen neuen Lebens und Wiederbeginns. Nicht umsonst trägt sie den Namen unseres Heilands ... «
»Was seid Ihr, Schreevogl? «, fragte ihn Georg Augustin von der Seite. »Ein Zeuge oder ihr Advokat? Diese Frau war mit den Kindern zusammen, und die Kinder sind tot oder verschwunden. In ihrem Haus finden sich die teuflischsten Kräuter und Tinkturen. Kaum ist sie eingesperrt, brennt der Stadl, und der Teufel spaziert durch unsere Stadt. Alles hat mit ihr angefangen, und es wird mit ihr auch wieder aufhören.«
»Eben, ihr werdet’s schon sehen«, zeterte Berchtholdt. »Zieht’s die Schrauben nur fester an, dann wird sie schon gestehen. Der Teufel selbst hält die Hand über sie. Ich habe hier ein Elixier vom Johanniskraut ...« Er kramte ein Fläschchen hervor, in dem eine blutrote Flüssigkeit leuchtete, und hielt es triumphierend in die Höhe. »Das wird den Teufel vertreiben. Lasst es mich ihr nur in den Schlund gießen, der Hex!«
»Herrgottnocheinmal! Ich weiß wirklich nicht, wer hier die größere Hexe ist«, fluchte Jakob Schreevogl. »Die Hebamme oder der Bäcker!«
»Ruhe!«, brüllte der Schreiber. »So geht’s nicht weiter. Henker, häng die Frau an das Seil. Wollen sehen, ob ihr der Teufel dann immer noch hilft.«
Martha Stechlin machte einen mehr und mehr apathischen Eindruck. Ihr Kopf kippte immer wieder nach vorne, auch schienen ihre Augäpfel auf merkwürdige Weise nach innen gedreht. Jakob Schreevogl fragte sich, ob sie überhaupt noch wahrnahm, was um sie herum geschah. Willenlos ließ sie sich vom Henker vom Stuhlhochziehen und zum Strick schleifen, der weiter hinten durch einen Eisenring von der Decke baumelte. Unten, an einem Ende des Stricks, war ein Haken angebracht. Der Henker befestigte den Haken an den Fesseln, mit denen die Arme der Hebamme hinter ihrem Rücken zusammengebunden waren.
»Soll ich ihr gleich einen Stein unten dranbinden?«, fragte Kuisl den Gerichtsschreiber. Sein Gesicht war merkwürdig fahl, trotzdem erschien er ruhig und gefasst.
Johann Lechner schüttelte den Kopf. »Nein, nein, wir versuchen es erst mal so, dann sehen wir weiter.«
Der Henker zog an einem Ende des Seils, so dass die Hebamme den Boden unter den Füßen verlor. Ihr Körper senkte sich leicht nach vorne und fing an zu wippen. Irgendetwas knackte. Die Stechlin stöhnte leise. Der Gerichtsschreiber begann mit seiner Fragerei von vorne.
»Martha Stechlin, ich frage dich noch mal. Gestehst du, den armen Peter Grimmer ...«
In diesem Augenblick lief ein Zittern durch den Körper der Hebamme. Sie begann zu zucken und den Kopf wild hin und her zu schütteln. Speichel troff ihr aus dem Mund, das Gesicht war blau angelaufen.
»Mein Gott, seht doch«, schrie der Bäcker Berchtholdt. »Der Teufel ist in ihr! Er will ausfahren!«
Alle Zeugen, auch der Schreiber, waren aufgesprungen, um sich das Spektakel von Nahem anzusehen. Der Henker hatte die Frau wieder zu Boden gelassen, wo sie sich in Krämpfen wand. Sie bäumte sich ein letztes Mal auf, dann fiel sie leblos in sich zusammen, den Kopf seltsam zur Seite gedreht.
Für einen Augenblick sprach keiner ein Wort. Schließlich meldete sich der junge Augustin. »Ist sie tot?«, fragte er interessiert.
Jakob Kuisl beugte sich über sie und legte sein Ohr an ihre Brust. Er schüttelte den Kopf.
»Das Herz schlägt noch.«
»Dann weck sie wieder auf, damit wir fortfahren können«, sagte Johann Lechner.
Jakob Schreevogl war nahe daran, ihm ins Gesicht zu schlagen.
»Wie könnt Ihr es wagen?«, schrie er. »Diese Frau ist krank, seht Ihr das nicht? Sie braucht
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